CDs / DVDs

www.opernetz.de, 23. März 2013
Synthese aus Klang und Raum

This is a Ring to remember“ steht zusammenfassend auf der Rückseite der Götterdämmerung-Box. Ein Versprechen, dass es einzulösen gilt. Keine leichte Aufgabe, angesichts der Zunahme von visuellen Ring-Gesamtaufnahmen. Die Neuerscheinung bei Opus Arte bannt die Inszenierung von Pierre Audi an De Nederlands Opera Amsterdam vom Ende des letzten Jahrtausends, als Wagners Ring gerade Hochkonjunktur an allen Opernhäusern hatte, auf 17 DVDs. Bis heute hat sich der Ring auf dem Spielplan in Amsterdam gehalten, und wer sich die DVD anschaut, überlegt sich genau, ob er die Reise dahin nicht antreten sollte.

Pierre Audis Regiekonzept gewinnt von Beginn an dadurch, dass er keinen politischen Ring auf die Bühne stellt, sondern eine Parabel erzählen will. Zeitlich legt er sich überhaupt nicht fest. Zwar deutet vieles auf einen mystischen Ring hin, doch daneben finden sich auch Fernseher und Zahnräder unter den Requisiten. Visuell gibt es in diesem Konzept eine ganze Menge zu sehen, was auch daran liegt, dass das gesamte Team ein optisches Gesamtkunstwerk und eine technisch aufwändige Meisterleistung erarbeitet hat. George Tsypin hat die Grenzen zwischen Bühne, Orchestergraben und Auditorium fast aufgebrochen. Eine Spielfläche, in jedem Teil variierend, zieht sich um das Orchester herum, immer nahe am Publikum. So entsteht ein fast magischer Raum aus Spiel und Klang, in den alle Beteiligten – und sei es nur durch passive Anwesenheit – mit eingebunden sind. Der Boden dieser Spielfläche erinnert dabei sehr oft an eine riesige Scheibe, die aus einen Baum herausgeschnitten ist, als würde die Handlung auf den Lebensringen der Weltesche stattfinden. Eiko Ishioka hat fantasiereiche Kostüme und Masken entworfen, von denen manche auf den ersten Blick befremdlich sind und doch immer wieder Sinn ergeben. Mimes insektartiger Leib und die Riesen, deren Körper aus Lehm oder Stein geformt zu sein scheinen, sind als großartige Beispiele zu nennen. Wolfgang Göbbel setzt Lichtgrenzen, um die Spielfläche nicht eindimensional stehen zu lassen, deutet Orte in Farben an, ohne dem Zuschauer etwas vorzuschreiben.

Dem Verdacht auf optische Beliebigkeit setzt das Regieteam eigene Gedanken entgegen. Wotans Speer beispielsweise wird nicht vom Göttervater in der Hand getragen. Er erscheint als Lichtblitz, um Nothung zu zerschmettern, bohrt sich aus dem Boden, um Hunding zu töten, und senkt sich bei Bedarf eindrucksvoll aus dem Bühnenhimmel hinab. Gerade im Siegfried während der Wissenswette zwischen dem Wanderer und Mime macht das großen Effekt. Auch das Element des Feuers wird sehr unterschiedlich eingesetzt. Audi scheut sich nicht, manche Szene wie den Walkürenritt oder den Kampf mit dem Drachen mit Pyroeffekten zu bereichern. Das für die Handlung relevante Feuer in den Finali der Opern Walküre und Götterdämmerung wird dagegen durch Licht und Bühnenveränderungen sowie ein rotes Tuch, das Brünnhilde zum Erlösungstod verschlingt, symbolisiert. Die Personenführung von Audi hat schwankenden Erfolg. Teilweise verlangt er abstrakte Gesten, teilweise auch wieder ein entfesselndes Spiel. Durch letzteres wird beispielweise der erste Siegfried-Akt zu einem großen Erfolg. Nicht jede Szene ist auf gleichem atmosphärischen Niveau, doch das kann man verschmerzen angesichts einer sehr stringenten Auslegung, die zu jedem Zeitpunkt Musik und Szene miteinander verbindet.

Der Betrachter der DVD hat natürlich den Nachteil, dass er die Bühne nie in einer totalen Ansicht erfassen kann, doch gibt sich TV-Regisseur Misjel Vermeiren alle Mühe, auch dem Zuschauer zu Hause viel von dem zu vermitteln, was sich abspielt. Gut vorbereitet auf den Bühnenaktionismus, setzt er geschickte Bildüberblendungen, Zoomeffekte und angemessene Schnitte ein, weiß aber auch das Auge der Kamera einfach mal auf einem Punkt ruhen zu lassen. Dem Zuschauer wird oben beschriebene Einheit aus Bühne, Publikum und Orchester schnell, wenn er in der einen Einstellung noch ein Instrument im Bildhintergrund, in der nächsten schon wieder die Zuschauer auf dem Balkon des Auditoriums hat. Nicht gelungen ist das schnelle Abblenden beim Applaus. Tontechnisch sind die vier Aufführungen nicht ideal erfasst. Die großen Bewegungsmöglichkeiten auf der Bühne wirken sich auf die Mikrophone aus, so dass die Sänger nicht optimal eingefangen werden. Zuweilen kommt es vor, dass die ersten Töne einer Phrase wie aus weiter Entfernung erklingen, was dann durch eine Körperdrehung wieder aufgehoben wird.

Rein gesanglich ist die DVD freilich nicht das Maß aller Dinge, doch die meisten Solisten überzeugen als mitreißende Sängerdarsteller. Wirklich ärgerlich ist nur, dass ausgerechnet die zentrale Rolle der Brünnhilde mit Jeannine Altmeyer besetzt wurde. Verquollene Diktion, brüchige Töne und forcierte Höhen führen den Zuschauer schnell in Versuchung, die Stummtaste der Fernbedienung zu benutzen. Ansonsten gibt es viel Spannendes, wenn auch nicht immer Schönes zu hören: Paradebeispiel dafür ist Kurt Rydl. Als Hunding, aber vor allem als Hagen ist er eine unaufhaltsame Naturgewalt, eine gnadenlose Inkarnation des Bösen. Eine Ausnahme ist Heinz Kruse als Siegfried. Körperlich noch nicht auf der Höhe durch eine vorangegangene Knieoperation, mimisch eher blass, besticht er durch konzentrierten, hochwertigen Gesang. John Bröcheler singt zuweilen mit viel zu viel Material, doch sein starker Wotan gewinnt von Abend zu Abend an Götterformat. Graham Clark ist ein intonationsschwacher, dafür aber vitaler, mitreißender Mime. Chris Merritt als Loge und Henk Smit als Alberich setzen zu sehr auf pointierte Deklamation zu Lasten einer sauberen Gesangslinie. Aus dem großen, insgesamt soliden Solistenensemble bleiben Wolfgang Schönes markanter Gunther und Nadine Sekundes intensive Sieglinde nachhaltig in Erinnerung. Auch Peter Mikulas und Carsten Stabell sind als Riesen Fasolt und Fafner würdige Rollenvertreter. Der Chor der De Nederlandse Opera hat einen packenden Auftritt in der Götterdämmerung, wenn er wie eine Klonarmee aufmarschiert.

Gleich drei verschiedene Orchester werden für den Ring aufgefahren. Das hervorragende Netherlands Philharmonic Orchestra kommt in der Walküre sowie in der Götterdämmerung zum Einsatz. Im Rheingold spielt die etwas blecherne Hague Philharmonic auf, und im Siegfried sorgt das Rotterdam Philharmonic Orchestra für Wagner-Wonnen. Von gelegentlichen Unsauberkeiten abgesehen, gelingt ihnen eine musikalisch großartige Widergabe, an der ihr Dirigent Hartmut Haenchen großen Anteil hat. Der dramatische, zügige Zugriff auf das Werk hat große Wirkung. Haenchen unterstützt das visuelle Konzept, in dem er musikalische Räume aufmacht. Da fügen sich Stimmen und Instrumente zu einer geschlossenen Form zusammen, in der Leitmotive nicht eine übergeordnete Rolle spielen, sondern klug eingebunden werden.

Die DVD-Box hat nicht nur eine sehenswerte Ring-Produktion zu bieten. Jeder Teil hat mit einer zusätzlichen Dokumentation ein interessantes Extra zu bieten. Die werden überdies attraktiv, indem mit Stefan Mickisch einer der versiertesten Wagner-Kenner zu Wort kommt. Auf die Frage des Moderators, ob Mickisch den ganzen Ring auswendig auf dem Flügel spielen könne, antwortet dieser: „Nein, nur etwa drei Stunden.“ Aber selbst an die muss man sich erst mal erinnern können.
Christoph Broermann