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www.kultur-port.de, 04. August 2014
Ein Abschied- Die letzten drei Mozartsinfonien

... Nur gut, dass es Aufnahmeverfahren gibt, die diesen Moment festhalten können. ...

Eine Ära geht zu Ende! Das, wofür der 1943 in Dresden geborene Hartmut Haenchen einstand, wurde auch an jenem Abend hörbar: die Haltung zu einem modernen Klangraum sowie eine Ensemblekultur, die an Vitalität und Inspiration nichts zu Wünschen übrig lässt. Konsequent bis zur letzten Note verfolgt der Dirigent mit seinem Orchester seine Anliegen: ein lebhaftes zeitgemäßes Konzertgeschehen und Berlin als traditionsreiche Musikstadt in das gemeinschaftliche Gedächtnis zu verankern. Zu einer Zeit – in den 1980ern – als C.P.E. Bach kaum aufgeführt wurde, ja kaum jemand sein Werk umfänglich kannte, benannte er das Kammerorchester nach dem zweiten Bach-Sohn. Sie schafften auch den Sprung ins vereinte Deutschland, mit inhaltlicher und spielerischer Qualität und finanziellem Verzicht. ...

Ein ganz besonderer Verdienst ist es, dass Dirigent und Kammerorchester, verschollene und noch unbekannte Werke aus Berlin und Brandenburg zur Aufführung brachten. ...
Haenchens theoretisches Werk sollte ebenfalls Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die 14 Bände der „Fiktive Briefe. Gustav Mahler“ sind wunderbar lesenswert und seine Erfahrungsbücher „Werktreue und Interpretation“ sind regelrechte Lehr- und Lebenssammlungen, die im Jahr 2013 erschienen sind.
Wie eine Quintessenz daraus lässt sich dann die kleine silberne Scheibe der Jubiläums-Live-Edition hören. Es ist eine zeitgenössische Sicht auf Mozart die das Kammerorchester bietet, entfernt von der oft und vielbeschworenen „traditionellen oder authentischen Aufführungspraxis“. Haenchen führt sein Orchester in einer ästhetischen Flüssigkeit, die den Phrasierungen noch viel ungewohntes, ja, ungehörtes abgewinnen kann. Weich, zuweilen tänzerisch und zielstrebig sicher durchdringt der Klang und wird zum Hörgenuss.
Mozarts künstlerische Vielseitigkeit wird in dieser Aufnahme akzentuiert, aber auch differenziert. Der Komposition der motivischen Geschlossenheit, des Kontrapunkts und der Asymmetrie wird adäquater Raum gegeben. Und selbst die kompositorischen „freundlichen Themenabbrüche“ ... sind permanent mitgedacht. Stellenweise hört man in der g-Moll Sinfonie ... einen Anflug an die Romantik mit einer sehr ausgeprägten Dramatik. Das musikalische Aufbäumen, beispielsweise in der Sinfonie Nr. 39 Es-Dur (KV 543), aber besonders im zweiten Satz (Andante cantabile) der Sinfonie C-Dur (KV 551 „Jupiter“) erhält nicht sofort seine Schärfe, es klingt sich hinein, und bildlich gesprochen, ist der ganz kurze Augenblick des Durchschreitens einer Türöffnung selbst als eigene Durchgangsdauer hörbar. Eine regelrecht gesanglich-menschliche Leistung der Instrumente, die endlich einmal den Begriff „cantabile“ ernst nehmen.
Die Aufnahme wird damit wohl auch den großen Publikumsgeschmack treffen und darüber kann man sich nur freuen.
Um Missverständnisse gar nicht erst aufkommen zu lassen – Hartmut Haenchen geht nicht etwa in den Ruhestand, er wird im kommenden Jahr Konzerte und Opern in Berlin, Tokio, London, Stockholm, Barcelona, Toulouse, Kopenhagen, Stuttgart und Madrid dirigieren.
Claus Friede

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