CDs / DVDs

www.klassik.com, 07. April 2009
4 Sterne in allen Kategorien

Hufschmidt, Wolfgang:
meissner tedeum

Günter Grass deutet das 'Te Deum'

Das 'Meissner Tedeum’ von Wolfgang Hufschmidt wurde am 26. Mai 1968 im Meissner Dom uraufgeführt und kam am selben Ort am 3. Oktober 1997 zur Wiederaufführung. Angesichts des klangsprachlichen Anspruchs und des immensen Aufwands – der exakte Titel lautet: Meissner Tedeum, nach dem ‚Tedeum Laudamus’, deutsch von Martin Luther (1526) und einem antiphonischen Text von Günter Grass (1966) für Sopran, Chor und Orchester mit Orgel, Bariton, Vokalensemble, Bläserquintett, Klavier, Schlagzeug und Tonband – ist es schon erstaunlich, dass das Werk nicht das Schicksal vieler zeitgenössischer Kompositionen teilt: eben nur uraufgeführt zu werden. Darüber hinaus grenzt es schon an ein Wunder, dass es überhaupt zur dieser Uraufführung kam, denn das zum Anlass des 1000jährigen Bestehens des Meissner Doms vom damaligen Domkantor Erich Schmidt ganz bewusst beim westdeutschen Komponisten Wolfgang Hufschmidt (geb. 1934) in Auftrag gegebene Werk war sowohl den Machthabern als auch der ostdeutschen Kirche alles andere als willkommen. Daran war in erster Linie der provokante Text von Günter Grass Schuld, der eine krasse Gegenposition zum Lobgesang darstellt. Die zum Teil absurden Probleme, die sich stellten, bis hin zu als Telemann-Ausgaben getarnten Noten, heimlich produzierten und für Kontrollzwecke bereitgehaltenen Ersatztonbändern und der fast erfolgreich verhinderten Einreise des Komponisten zur Uraufführung sind im Booklet anhand einer übersichtlichen Zeittafel und einigen Textstücken anschaulich dokumentiert.

Die beiden Aufführungen – auf einer SACD!

Die Uraufführung wurde von Barbara Hoene (Sopran), Hartmut Haenchen (Bariton), der Meißner Kantorei und dem Gewandhausorchester Leipzig unter der Leitung von Domkantor Erich Schmidt bestritten. Etwa 30 Jahre später kam man zu ganz ähnlichen Ergebnissen, was die Zeitdauern angeht; das Werk dauert in beiden Fällen fast gleich lang. Ob das nun dem Umstand zu schulden ist, dass mit Hartmut Haenchen der Dirigent der Wiederaufführung bereits als Sänger an der Uraufführung teilgenommen hat, oder dass die Verwendung von Zuspielbändern den zeitlichen Ablauf stark determiniert, sei einmal dahingestellt. Es sangen und musizierten 1997 Antje Bitterlich (Sopran), Martin Lucaß (Bariton), Chor und Chor und Orchester sowie Vokal- und Instrumentalsolisten der Folkwang-Hochschule Essen. Da das sechsteilige 'Meissner Tedeum’ fast 55 Minuten dauert, kann es – so viel weiß man – nicht auf eine CD passen; zumindest nicht nacheinander, wohl aber parallel auf die verschiedenen Schichten einer SACD. Insofern stellt die Produktion des Labels Cybele, die übrigens bereits 2003 erschienen ist (und entsprechend lange auf ihre wohlverdiente Besprechung wartet) ein schönes Beispiel für den kreativen Umgang mit den Möglichkeiten des Mediums dar. Wer einen herkömmlichen CD-Spieler mit der Scheibe füttert, bekommt lediglich die Wiederaufführung angeboten. So stellt es sich auch für denjenigen dar, der die Platte im Mehrkanalmodus seines SACD-Spielers startet; im Gegensatz zum CD-Hörer bekommt letzterer das Stück aber in bestem Surround-Klang geboten, der nicht minder kreativ und effektiv eingesetzt wurde, da die Tonbandeinblendungen den hinteren Lautsprechern anvertraut wurden, was die Musik strukturell entzerrt und für ein raumfüllendes Klangerlebnis sorgt. Stellt man den SACD-Spieler auf Stereo, stehen plötzlich zwölf Tracks zur Auswahl; auf die Stereo-Variante der Wiederaufführung folgen sechs weitere Tracks mit dem Mitschnitt der Uraufführung, einer klanglich erstaunlich zufrieden stellenden Privataufnahme.

Glücksfälle

In interpretatorischer Sicht wissen beide Dokumente zu gefallen. Im Falle Neuer Musik ist es ja ein seltener Glücksfall, überhaupt einen Interpretationsvergleich anstellen zu können; umso schöner, die Möglichkeit dazu direkt mitgeliefert zu bekommen! Da die Wiederaufführung mindestens so spannungsreich musiziert wird wie die Uraufführung, einige kleinere Schwächen der Uraufführung nicht aufweist und zudem besser aufgenommen wurde, ist dieser Version der Vorzug zu geben – weswegen man sich bei Cybele wohl auch dazu entschlossen hat, dem CD-Hörer diese Fassung anzubieten. Als Glücksfall darf auch das Textheft angesehen werden, das neben oben genannter Zeittafel und Dokumentensammlung auch eine Werkeinführung des Komponisten sowie eine allgemeine Einführung in die Entstehungsumstände enthält. Obendrein gibt es noch – optisch klug aufbereitet – die vertonten Texte sowie einige Abbildungen. Ein Sonderlob gebührt dem Label aber für die besondere Art, die Möglichkeiten des Speichermediums SACD auszunutzen – ein Beispiel, das seit Erscheinen der Platte vor mehr als fünf Jahren offenbar leider wenig Schule gemacht hat.
Christian Vitalis