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http://www.klassikinfo.de, 12. Juli 2011
Aufgewühltes Meer unter bleiernem Himmel

Ein packender "Holländer" aus Amsterdam auf DVD - in der Regie von Martin Kusej mit Hartmut Haenchen am Pult

Es ist der spannendste "Holländer" - zumindest auf DVD - seit Harry Kupfers legendärer Bayreuther Deutung von 1978: Martin Kusej hat in Amsterdam Wagners Frühwerk radikal ins Heute geholt ohne die zeitlose Tragödie zu verraten, Hartmut Haenchen ließ die Musik zum Krimi gerinnen und Joost Honselaar machte daraus für Opus Arte einen packenden Film.

Schon der Beginn irritiert und fasziniert: Wie nach einem Tsunami oder einer Havarie rennen bunt gekleidete Touristen in Panik über die Bühne. Daland (immer noch stimmgewaltig: der 70-jährige Robert Lloyd) scheint der Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes zu sein. Zum Auftritt des schwarzgekleideten Holländers (Juha Uusitalo) erstarrt die Menge. Auch Senta (Catherine Naglestad) trägt einen langen, schwarzen, weich fließenden Mantel und ist hier genauso geheimnisumwitterte Tragödin wie der Holländer. Sie spinnt inmitten aufgetakelter Damen in der Beauty-Farm als einzige realistisch, während ihre Geschlechtsgenossinnen sich in den neuesten Zeitschriften-Klatsch vertiefen. Wenn Senta die Ballade singt, besetzt die Mannschaft des Holländers - ebenfalls ganz in Schwarz, von Kapuzen verhüllt - das Schwimmbad - im rückwärtigen Teil der Bühne, abgeteilt durch unzählige Glastüren. Ihre Hände sind aufgerissen, einige sterben blutüberströmt, gestrandet sozusagen im Pool. Gruselig durchleuchtet hier der Regisseur den dramatischen Inhalt der Ballade, der von den stürmischen Seefahrten des Holländers und seiner Mannschaft erzählt ("Hui! Wie saust der Wind! Johohe! Hojohe!"), bei denen in Ku?ejs Deutung nur der Holländer nie den Tod finden kann.

Auch im dritten Akt verschärft Kusej den Kontrast von vorne kauernden schwarzen Holländer-Lemuren und der grellen, tanzwütigen Partygesellschaft hinter den Glastüren, alle aus dem Off singend. Am Ende wird Sentas Bild, das ein aufgewühltes Meer unter bleiernem Himmel zeigt, bühnenfüllend, der Jäger Erik (viril und mit dem Mut der Verzweiflung: Marco Jentzsch) erschießt mit seiner Flinte erst den Holländer, dann seine Geliebte. Doch da Hartmut Haenchen sich für die späte Fassung mit musikalischem Erlösungsschluss entschieden hat, wird die Bühne nicht nur optisch in hellblaues Hoffnungslicht getaucht.

Selten hat man einen "Holländer" so plastisch und spannend ausmusiziert in Dynamik und instrumentalen Details gehört wie hier mit dem Nederlands Philharmonic Orchestra. Furchteinflößend und doch anrührend gestaltet Uusitalo die Titelpartie, während Catherine Naglestad zugleich verletzlich und überlegen wie eine antike Tragödin spielt. Dabei singt sie ebenso schlank, differenziert wie intensiv und "umschifft" geschickt die Klippen, die diese Partie selbst für dramatischere Soprane so gefährlich macht.

Klaus Kalchschmid