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www.klassik.com, 19. März 2007
Dem Original auf der Spur

Wer sich an das unausgewogene Klangbild dieses Livemitschnittes gewöhnt hat, wird von Dirigent Hartmut Haenchen auf eine Entdeckungsreise durch Wagners Tetralogie-Vorabend entführt, die auf einer soliden Ensembleleistung aufbaut.

‘Der Ring des Nibelungen’ ist diskographisch bestens repräsentiert. Zahlreiche Studioaufnahmen und Piraten-Mitschnitte ermöglichen einen Überblick über die Interpretationen der vergangenen sechzig Jahre und in wenigen Fällen noch weiter zurück. Auch aus Bayreuth selbst wird der Rundfunknutzer jährlich auf dem Laufenden gehalten. CD-Veröffentlichungen des gesamten Ring-Zyklus’ aus kleineren Häusern wie beispielsweise der gesamte Karlsruher Ring landen schnell bei den verbilligten Restposten bei Zweitausendeins. Um eine Neuerscheinung zu rechtfertigen und sie interessant zu machen, sollte sie vorrangig eine attraktive Besetzung vorweisen können oder in anderer Hinsicht aufsehenerregend sein.
Im Jahr 2005 produzierte die Nederlandse Opera in Amsterdam Wagners Tetralogie in einer spektakulären Inszenierung, der im wörtlichen Sinne ein Ring-Konzept als tragendes Element dient. Das Bühnengeschehen findet auf einer Drehbühne statt, genauer einem Bühnenring, der sich um das Orchester herum dreht. Das Orchester selbst dreht sich gegenläufig. Auch das Publikum wird in diesen Rotationsprozess miteinbezogen, indem sich das bewegliche Auditorium teilweise auf der Szene befindet. Kreisende Bewegungen greifen ineinander, lassen einen bewegenden Opernabend entstehen, der zumindest optisch gefangen nimmt.
Die Mitschnitte aller vier Abende liegen nun auf SACD vor, und können sich rühmen, die erste Aufnahme unter Verwendung der neuen Richard-Wagner-Gesamtausgabe zu sein. Der Dirigent aller vier Opern Hartmut Haenchen erläutert diesen Umstand detailliert im beiliegenden Booklet. Dem Hörer begegnen vor allem in Fragen der Instrumentation und klanglichen Realisation, sowie in Dynamik und Agogik Feinheiten, die dem Klangideal des Bayreuther Meisters besonders nahe zu kommen scheinen. Besonderes Augenmerk legt der Dirigent beim ‘Rheingold’ auf die Tempo-Vorstellungen Wagners, der den Vorabend der Tetralogie in zwei Stunden abgehandelt haben wollte. Mit zwei Stunden und sechzehn Minuten kommt die Amsterdamer Produktion diesem Ideal sehr nahe.
Um ein solches Projekt auf die Beine zu stellen, muss sich der musikalische Leiter auf ein bereitwilliges Orchester und ein entdeckungsfreudiges Sängerensemble verlassen können. Beides steht Hartmut Haenchen zur Verfügung. Es ist schon verblüffend mit welcher Intensität und Liebe zum Detail dieses internationale Ensemble an einem Strang zieht. Freilich sind die Ergebnisse unterschiedlich zu bewerten, aber das Brennen für ein neues Klangideal ist bei jedem Einzelnen zu spüren. Als Ensembleleistung überzeugt die Aufführung auf ganzer Linie.
Albert Dohmen ist ein nobler Wotan, der mit balsamischem Ton und klarer Diktion Vorfreude auf die beiden Folge-Opern entstehen lässt. Als Fricka steht ihm mit hocherotischem Klang Doris Soffel zur Seite und der Mime ist bei Graham Clark in altbewährten Händen. Werner Van Mechelen ergründet die Untiefen von Alberichs Charakter und versetzt den Zuhörer durch präzise Textarbeit in freudiges Staunen. Der Loge von Chris Merritt bleibt Geschmacksache, zu gepresst klingt sein Tenor, der sich durch effektheischende Klangfärbung für das Charakterfach zu profilieren versucht. Als Freia scheint Michaela Kaune purer Luxus zu sein, erweist sich aber nur als solide, um korrekte Intonation ringende Besetzung. Dennoch fallen diese Leistungen nicht aus dem durchweg positiven Gesamtbild, sondern werden vom Ensemblegedanken mitgetragen. Mario Luperi und Frode Olsen treten als Bass-Riesen in Erscheinung, während Martin Homrich einen herrlich naiv-strahlenden Froh zum Besten gibt. Als bewährte Ensemblestütze ist Anne Gjevang als Erda um einen Mittelweg zwischen dramatischem Potential und kontrollierter Stimmführung bemüht. Die Rheintöchter von Alexandra Coku, Natascha Petrinsky und Elena Zhidkova sind eine wahre Wonne. Von diesem Trio besungen leuchtet das Rheingold noch im heimischen Wohnzimmer.
Das Orchester unter Haenchens Leitung formiert sich zu einem bewundernswerten Klangapparat, dessen Bestreben nach Klarheit und Durchsichtigkeit in jeder Note zu spüren ist. Die aufwogende Klanggewalt ist Stilmittel und kein überanstrengter Dauerzustand. Selten sind die kammermusikalischen Qualitäten von Wagners Partitur so zum Greifen nahe, auch wenn Haenchen den Klangvorstellungen genau zu entsprechen versucht und tatsächlich 18 auf ‚f’ gestimmte Ambosse im Orchestergraben platziert. Ein ‘Rheingold’ zum Erleben, Staunen und Diskutieren.