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www.klassik.com, 27. Juni 2011
Zweigeteilt

Schon die Ouvertüre lässt aufhorchen. Da klingt nichts überpointiert oder pathetisch. Kein romantisches Raunen ist zu hören, keine maritime Folkloristik, stattdessen frisches, federndes, oft überraschend schlankes, stets nach vorne drängendes Musizieren. Hartmut Haenchen, unstrittig einer der wenigen großen Wagner-Dirigenten unserer Zeit, lässt mit seinem fantastischen Orchester den frühen Wagner förmlich aus der deutschen Opern- und Singspieltradition herauswachsen. 'Freischütz' und 'Fidelio' sind da zu ahnen, Marschner und Spohr, selbst Mozart und Rossini grüßen aus der Ferne. Auf der anderen Seite lässt Haenchen keinen Zweifel daran, wie sehr bereits der 'Holländer' auf die musikalische Moderne verweist, wie namentlich die Passagen der Titelfigur bereits ein Verlassen der Tonalität ahnen lassen. Diese Auffassung von Wagners Musik ist natürlich keinesfalls neu, ist aber auf Ton- und Bildträgern bisher kaum in dieser Konsequenz und Qualität zu erleben gewesen.
Am eindringlichsten gelingt das Herausmodellieren dieser Diskrepanz in der großen Chorszene zu Beginn des dritten Aktes. Hier leistet der Chor der Nederlandse Opera vor allem im subtilen Umgang mit Klangfarben Erstaunliches. Der Regisseur Martin Kusej stützt hier explizit die musikalische Interpretation, indem er die Besatzung des Holländerschiffes auf die Vorderbühne holt. Überhaupt scheint der Ansatz des Dirigenten die szenische Realisierung beeinflusst zu haben, was absolut positiv zu vermerken ist.
Touristen und Heimatlose
Martin Zehetgruber hat quer über die weiß ausgeschlagene Bühne eine Wand aus Glastüren gebaut, einen Raum- und Weltenteiler. Daland ist hier der Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes. Besatzung und Touristen kommen zu Beginn durch die Glastüren nach vorne, in Schwimmwesten und individueller Freizeitkleidung. Die Mannschaft des Holländers dagegen ist schwarz gekleidet. Unter den Kapuzen sind keinerlei Gesichter auszumachen. Sie haben keine Heimat, keine Identität. Sie dürfen nicht hinein. Einzig der glatzköpfige Holländer ist eine Art Zwischenexistenz, durch sein individuelles Schicksal ein verzweifelt eine äußere Heimat suchender Wanderer zwischen den Welten.
Auch Senta ist schwarz gekleidet. Unter jungen hübschen, modisch zurechtgemachten Frauen sitzt sie als einzige tatsächlich am Spinnrad. Die Heimat, von der sie träumt, ist eine andere, innere. Sie möchte nirgendwo ankommen, sie möchte aufbrechen. So könnte ihre Beziehung mit dem Holländer vermutlich auch dann kaum funktionieren, wenn nicht der eifersüchtige, tumbe Jäger Erik mit seinem Schießgewehr die Angelegenheit endgültig beilegte. Die psychologisierende Ausdeutung des Regisseurs Kusej mag etwas weit hergeholt sein, ist aber über weite Strecken konsequent umgesetzt und wird durch eine stringente und detaillierte Personenführung beglaubigt. An einigen Stellen wäre etwas weniger Parallelaktion vielleicht mehr gewesen.
Die Aufführung findet sängerisch auf sehr hohem Niveau statt. Juha Uusitalo verfügt über eine starke, unheimliche Ausstrahlung und einen mächtigen, legatofähigen Charakterbariton, den er auch, vor allem im Duett mit Senta, klangvoll ins Piano zurücknehmen kann. Der Senta Catherine Naglestads fehlt es an dramatischem Fundament für die Partie. Sie gleicht dieses Defizit aber durch eine wunderbar fokussierte, leuchtende Höhe und vor allem intensives Spiel aus, was die Bildregie mit vielen Großaufnahmen ihres Gesichtes produktiv nutzt.
Weniger gut ist es um den Erik von Simon Jentzsch bestellt. Er hat eigentlich eine recht schöne, lyrische Stimme, aber die Höhe wirkt schmal, und ein baritonales Fundament ist überhaupt nicht zu hören. Vor allem in der Traumerzählung flüchtet er sich in den tief liegenden Passagen in eine Art Sprechgesang. Wohl um diese Probleme zu kaschieren singt er – technisch wie emotional – mit gewaltigem Überdruck. Da macht der Steuermann von Oliver Ringelhahn, der sein Lied als unterhaltende Touristenberuhigung exekutieren darf, einen weit besseren Eindruck, vor allem mit schöner, natürlich strömender Mittellage. Robert Lloyd verfügt nicht mehr über die stimmliche Autorität früherer Jahre, aber sein Daland besticht nach wie vor durch Bühnenpräsenz, Textverständlichkeit und Musikalität. Ein weiteres kleines Glanzlicht kommt von der entspannt singenden, sinnlich klingenden Maria Prudenskaja als Mary.
Ganz hervorragend ist die Bildregie von Jost Honselaar. In Ouvertüre und Zwischenakten lädt er zu konzentriertem Zuhören ein, indem er Dirigent und Musiker unter fast völligem Verzicht auf Totalen in Schwarzweiß filmt. Klanglich ist die DVD sehr solide ausbalanciert, vor allem im Verhältnis Sänger-Orchester. Das Booklet ist mit vielen gut reproduzierten Szenenfotos ausgestattet. Zusätzlich enthält die DVD ein vor allem informatives Making Off. So kann dieser 'Holländer', neben dem Münchner Film aus den 70er Jahren und der Bayreuther Kupfer-Produktion die einzige aktuell erhältliche DVD-Aufnahme des Werkes, als neue Referenzaufnahme gelten.
Andreas Falentin