Kammerorchester

Berliner Morgenpost, 27. Dezember 1998
Leckereien mit Magenbitter im Konzerthaus

Ob Albinoni oder Vivaldi - Barockmusik gehört zum Fest wie Stollen und Weihnachtsgans. Hier wie da gilt: Zuviel davon sorgt für Übersättigung und Unbehagen. Auch wenn beim Weihnachtskonzert des Kammerorchesters Carl Philipp Emanuel Bach barockes Naschwerk gereicht wurde, konnte man danach das Konzerthaus beschwingt und ohne jedes Völlegefühl verlassen, so geschickt und geschmackvoll hatten Hartmut Haenchen und sein hochmotiviertes Ensemble Bekanntes und Seltenes arrangiert.

Mit Michel-Richard de La Landes «Symphonie de Noël» in C-Dur wurden vornehmlich schlichte Töne angeschlagen, in denen man die variierten Melodien französischer Weihnachtslieder erkennen konnte. Deutlich zurückhaltend, jedoch nicht minder spannungsvoll musizierte das Kammerorchester in Vivaldis Fagott-Konzert e-Moll. Ingo Reuter entkräftete all die Spötteleien, die das Fagott als «brummelnder Großvater» unter den Instrumenten noch immer zu ertragen hat.

Wie viel einfacher hat es dagegen die Harfe, deren Klänge das Ohr wie auf einer Himmelsleiter entführen. Maria Graf bekannte sich in dem populären B-Dur-Konzert von Georg Friedrich Händel (HWV 294) gleichermaßen zur Detail-Liebe als auch zum majestätischen Klang. Auch in Francesco Manfredinis «Weihnachtskonzert» führte das Kammerorchester in bestechender Weise vor, daß es weder originaler Instrumente noch demonstrativer Vibrato-Enthaltsamkeit bedarf, um dem Geiste historischer Aufführungspraxis nahe zu sein. Nach so vielen barocken Spezereien wirkten die Huldigungen anden Namenspatron des Ensembles wie ein Magenbitter. Sowohl in Hans Werner Henzes köstlich instrumentierten «Sentimenti di Carl Philipp Emanuel Bach» als auch in der empfindsam-subjektiven Bach-Sinfonie G-Dur erreichten die Musiker, was der «Berliner Bach» als den Endzweck seiner Kunst bezeichnet hat: «Das Herz zu rühren und den Verstand zu beschäftigen.»

Astrid Weidauer