Frankfurter Rundschau, 13. Mai 2013
2014 ist Schluss – nach 45 Jahren Enthusiasmus
Das Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach löst sich am 1. Mai 2014 auf. Wer die Musiker einmal erleben möchte, hat dazu noch viermal Gelegenheit.
Das Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach steht vor seiner letzten Saison. Nach 45 Jahren freier Existenz ist am 1. Mai 2014 Schluss. Schon lange verzichten die Instrumentalisten, meist Mitglieder Berliner Orchester, und ihr Chefdirigent Hartmut Haenchen auf Honorar. Doch sind die Kosten für die Säle in letzter Zeit stark gestiegen und so die Schmerzgrenze auch für den größten Enthusiasten erreicht.
Haenchen, der am 21. März 70 wurde, ist ein Enthusiast detaillierten Probens. Mit dem Kammerorchester führt er Stücke des klassischen Repertoires auf, die man auch nach einmaligem Durchspielen im Konzert anbieten könnte. Aber dafür ist Haenchen zu skrupulös. Er gräbt sich durch die originalen Quellen, ist bestens informiert über Spielweisen und Stilfragen. Und weil man bei ihm so viel lernen kann, spielen enthusiastische Musiker auch ohne Gage unter ihm.
Haenchens Aufführungsstil steht quer zur interpretatorischen Willkür, wie sie aus Überdruss am längst Bekannten das Musikleben dominiert. Er verfolgt ein Ideal von Objektivität, das zur Sorgfalt verpflichtet. Auch am Mozart-Abend am Freitag im Konzerthaus war wieder zu erleben, wie ungeheuer sauber und scharf artikuliert das Kammerorchester spielt. Man hört bekannte Stücke wie die A-Dur-Sinfonie KV 201. Vergleicht man Haenchens Interpretationen mit dem, was man im Ohr hat, stellt man meist fest, dass es mit diesem Kammerorchester präziser, deutlicher und gespannter klingt.
Dabei entsteht ein eigentümlich gläserner Mozart, funkelnd und transparent, aber auch hart und kalt – im besten Sinne! Peter Rösel ist im letzten Klavierkonzert in B-Dur ein Solist ohne Einfühlungspose, und auch das Kammerorchester wahrt Distanz zu expressiven Klischees. Umso schroffer wirken dann die unharmonischen Einsprengsel der Instrumente zu Beginn der Mittelteils – kein nur subjektiver Ausdruck des Entsetzens, sondern die zuvor heile Form springt entzwei. Auf diese Art wird das Kammerorchester auch seinem Namenspatron gerecht.
Die Musik des Bach-Sohns wird gern auf die expressiven Abbrüche oder Zuspitzungen hin gespielt, gegen die der Rest als Konversationsmusik abfällt. Haenchen zeigt dagegen, dass die vermeintlich konventionellen Momente bei Bach durchaus Interesse verdienen, weil sie unkonventionell strukturiert sein können – erst dann bekommen die Einbrüche echtes Gewicht, statt als schräge Harmoniefolge lediglich die Sensationslust zu kitzeln. Wer derart durchdachte Interpretationen schätzt, hat noch viermal Gelegenheit, das Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach zu hören.
Peter Uehling
Der Tagesspiegel, 12. Mai 2013
Effektverzicht
Das Bach-Kammerorchester im Berliner Konzerthaus.
Es ist ein Jammer, dass sich das Kammerorchester „Carl Philipp Emanuel Bach“ nach Ablauf der kommenden Spielzeit auflösen wird. Im Konzerthaus gibt man neben der F-dur-Sinfonie des Namenspatrons Werke Mozarts, darunter dessen letztes Klavierkonzert mit dem Pianisten Peter Rösel. Das Ensemble und sein künstlerischer Leiter Hartmut Haenchen, sicherlich einer der vielseitigsten Dirigenten unserer Zeit, stehen für einen ganz eigenwilligen Zugriff auf die Werke der Früh- und Hochklassik.
Das Orchester versteht sich auf die überfallartige Forte-Attacke, die Mittelstimmen, besonders die Bratschen, sind wunderbar präsent, und in der Abstimmung von Streichern und Bläsern ergeben sich aparte Mischungen, wobei gerade die ausgezeichneten Flötistinnen auf sich aufmerksam machen.
Haenchens Klangvorstellungen wirken zunächst dennoch etwas fremd, vor allem, weil auf modernen Instrumenten gespielt wird und der Dirigent vom Vibratoverzicht schon aus historischen Gründen wenig hält. Spätestens aber mit Mozarts frühlingsfrischer A-Dur-Sinfonie, deren letzter Satz als Zugabe gleich noch einmal wiederholt wird, hat man sich in diesen Interpretationsansatz hineingehört.
Peter Rösels effektabstinenter Mozartstil erinnert an Maurizio Pollini. Das dynamische Spektrum wirkt schmal, Akzentsetzungen findet man fast ausschließlich am Beginn der Phrasen, denn im stark an der Oberstimme orientierten Klang soll keine Note aus der melodischen Linie hervorstechen. Damit wird der Pianist der lyrischen Gesamtanlage von Mozarts B-Dur-Konzert gerecht, die harmonischen Kühnheiten des ersten Satzes bleiben aber unterbelichtet. Bezaubernd wirkt das Understatement, mit dem im Finalsatz das Rondothema stets wieder einsetzt, als sei zuvor nichts geschehen.
Benedikt von Bernstorff