Neues Deutschland, 14. März 2000
Bach macht volle Säle, im Jubiläumsjahr Johann Sebastians ganz besonders. Das Berliner Kammerorchester, benannt nach seinem zweitältesten Sohn Carl Philipp Emanuel, kann sich da über mangelnden Zuspruch nicht beklagen. Unter Chef Hartmut Haenchen konnten die Instrumentalisten bei ihrem neuesten Auftritt im Kammermusiksaal der Philharmonie guten Zuspruch der aufmerksamen und dankbaren Hörer für sich verbuchen.
Entgegen manch anderen Ensembles für alte Musik spielen die Berliner auf modernen Instrumenten, deren üppigeres Klangvolumen sie mit bewundernswerter Disziplin ins Feine zu zügeln vestehen. Bei der h-moll Suite (BWV 1067) hatte ihr Vortrag - besonders das wunderschöne Flötensolo von Silke Uhlig - Duft und Grazie.
Musizieren über Bach und mit Bach hat der Berliner Komponist Manfred Schubert in seinem Konzert für zwei Violinen und Orchester versucht. Die Geiger Thorsten Rosenbusch und Lothar Strauß spielten zunächst - transparant, flüssig und expressiv - Johann Sebastian, dann wie im fiktiven Dialog, Schubert. Als Solisten bewährten sich hier ebenso, vereint mit Orchester und dem immer erfreulich sparsam agierenden Dirigenten Hartmut Haenchen, Rosenbusch und Strauß zu brillantem Concertare.
Liesel Markowski
Berliner Zeitung, 13. März 2000
Temperamente im widerspruchsvollen Dialog
Manfred Schubert im Kammermusiksaal der Philharmonie
Im Doppelkonzert dient ein Werk von Carl Philipp Emanuel Bach, das "Programmtrio" als Ausgangspunkt: Dort wird der Dialog zweier Temperamente - des Sanguinikers und des Melancholikers - dargestellt.
Schubert übernimmt von der Vorlage sowohl die Konfliktstellung als auch thematisches Material, verschärft die Konfrontation beträchtlich.
Vor allem der erste Satz wirkt fast schizophren in seinem um Einheit des Tempos unbekümmerten Alternieren der auf die Solisten verteilten Charaktere. Sie nerven sich gegenseitig, bis sich die Gegensätze verwischen. Demgegenüber ist der zweite Satz, basierend auf einer freitonalen Melodie, die das BACH-Thema der "Kunst der Fuge" aufgreift, ganz in einer melancholischen Stimmung gehalten, die vom sanguinischen Solopart nur zärtlich umspielt wird. Gewiss zeigt auch das Doppelkonzert alle jene Facetten, die die erwähnten Werke kennzeichnen: Es ist expressiv in seiner Grundhaltung, originell in seiner Konzeption und virtuos ohnehin - schon wegen seiner Gattungszugehörigkeit.
Aber es repräsentiert in seiner Verständlichkeit und seiner Distanz zu jeglicher Form der Abgründigkeit jenen Typus "geistvoller Unterhaltung", den die Komponisten der DDR vielleicht als Antithese zur Verblödungs-Unterhaltung im Westen pflegten, um das Auseinanderklaffen in einen E und einen U-Bereich zu begrenzen.
Was schon bei dem Bach-Sohn ein Wagnis angesichts der ästhetischen Forderung nach Einheit des Affekts war, führt bei Schubert oberflächlich betrachtet zur Polystilistik, zu barockem Pathos einerseits und zu frühklassischer Beweglichkeit andererseits. Vor dem Auseinanderfallen bewahrt Schubert die Musik durch den einheitlichen Kunstgriff der harmonischen Verzerrung. Die größere stilistische Einheitlichkeit wird aber vor allem im ersten Satz bezahlt mit der spürbaren Anstrengung, mit der der auf weiter Strecke schlichten Bach'schen Harmonik dissonante Akkorde untergeschoben werden.
Nun ging es Hartmut Haenchen und seinem Kammerorchester Carl Philipp Emanuel Bach auch nicht darum, Manfred Schubert ins beste Licht zu rücken, sondern um die Vorstellung eines weiteren Stücks, daß die Auseinandersetzung zeitgenössischer Komponisten mit dem Namenspatron des Orchesters bezeugt. Zudem paßte Schuberts Partitur gut zu einem J.S.-Bach-Programm der besonders konventionellen Art, in dem außer den ersten beiden Orchestersuiten in C-Dur und h-Moll auch noch das Doppelkonzert in d-Moll erklangen. Haenchen wählte einen oberstimmenbetonten Klang.
Peter Uehling
Der Tagesspiegel, 12. März 2000
Hartmut Haenchen präsentiert Originales und Bearbeites von Bach.
Ein Bach-Konzert mit Überraschungen bescherte das Kammerorchester Karl Philipp Emanuel Bach unter Hartmut Haenchen im Kammermusiksaal der Philharmonie. Haenchen ließ sogleich bei Johann Sebastians 1. Orchestersuite die Töne wie Flocken rieseln, verzichtete auf jede klischeehafte Orientierung auf die historische Musizierpraxis und servierte mit feinem Spürsinn für funkelnde Farben und Rhythmen einen Bach von kammermusikalischer Delikatesse. Auch die anderen Bachschen Bestseller wurden mit bezaubernder Leichtigkeit, geradezu mit tänzerischer Grazie dargeboten.
Vergnügen bereitete auch der zeitgenössische Beitrag, das so launige wie hintersinnige Konzert für zwei Violinen und Orchester aus dem Jahr 1988 vom Berliner Manfred Schubert. Deutlich traten in Haenchens spannungsreich nuancierter Wiederaufführung die charakteristischen Züge des Werkes zu Tage.
Das Schubertsche Doppelkonzert könnte zu einem Zugstück des Orchesters werden.
Eckart Schwinger