Opern

http://wdrblog.de, 25. November 2013
Wagners "Götterdämmerung" in Amsterdam

Beim „Ring des Nibelungen" passiert in Amsterdam so ziemlich das Gegenteil von dem, was in Bayreuth üblich ist. In Bayreuth haben wir den mystischen Abgrund, in dem das Orchester verschwindet. Der Orchestergraben ist tief und hat einen Deckel, sodass man im amphitheaterartigen Zuschauerraum nichts davon sieht und den Klang von irgendwo von der Bühne her hört. In Amsterdam sitzt das Orchester auf dem Orchestergraben mitten auf der Bühne und wird in der Regie von Pierre Audi (dessen „Ring" seit 1998 auf dem Spielplan steht) Teil des Geschehens, sogar des szenischen Geschehens. In einer ausgeklügelten Lichtregie wird das Orchester in der „Götterdämmerung" zum Feuer und in „Siegfried" zum Wald.
Aber auch die pure Nähe der Musiker zum dramatischen Geschehen führt zu einem anderen Wagner: zu einem Kammerspiel, wie mir der Dirigent Hartmut Haenchen erklärte. Gerade Wagners „Ring des Nibelungen" ist entgegen der landläufigen Meinung ja kein Stück von lauter großformatigen, pathetisch auftrumpfenden Stellen, sondern Dialog und Erzählung. Wenn Brünnhilde im 2. Aufzug der „Götterdämmerung" den Ring an Siegfrieds Finger entdeckt und den Verrat begreift, singt das Catherine Foster vorne an der Rampe vor dem Orchester in sprachnaher Diktion. Und Hartmut Haenchen lässt das Orchester wie eine Truppe von Generalbassspezialisten ganz nah am Gesang spielen. Wenig später kommt die große Klage der Brünnhilde. Die findet dann hinter dem Orchester statt. Hier hört man aber auch eine andere Musik. Das ist der Gegensatz zwischen erzählender Musik und unendlicher Melodie bei Wagner.

Nun ist das, was in Bayreuth mit dem abgedeckten Orchester stattfindet, nicht falsch, zumindest dramaturgisch nicht falsch. Wagner wollte das totale Theater; es gibt von ihm sogar den Spruch, nachdem er das unsichtbare Orchester geschaffen habe, wolle er auch das unsichtbare Theater schaffen. Gemeint ist damit, dass alles, was von der unmittelbaren dramatischen Erfahrung ablenkt, also alles Handwerkliche, nicht da sein darf. Wer in Bayreuth im Festspielhaus sitzt, und sei er noch so weit von der Bühne entfernt, spürt etwas von der Unmittelbarkeit des theatralischen Geschehens.
Wie unzulänglich in Bayreuth in den letzten Jahren auch immer gesungen worden mag, man ist trotzdem im Drama drin. Regisseure wie Sebastian Baumgarten, der in seiner „Tannhäuser-Inszenierung" von 2011 das Publikum auf der Bühne platzierte und in den Pausen Filme zeigte, verkennen den magischen Theaterort.
Richard Lorber