Sinfoniekonzerte

Tagesanzeiger Zürich, 21. November 2008
Zürich, Tonhalle. - Lieben Sie Brahms?, möchte man da wieder mal fragen. Aber sicher, wenn er so leidenschaftlich, rückhaltlos und auch virtuos dargeboten wird wie hier, wo die Virtuosität auch Himmel zu stürmen und jähe Abgründe aufzureißen versucht. Man könnte das Violinkonzert ja auch vor allem schön spielen, und gepflegte Langeweile wäre dann nicht so fern, aber derlei kommt diesmal nie auf. Christian Tetzlaff, 42 Jahre alt, und das Tonhalle-Orchester unter Hartmut Haenchen reisen das Werk gleichsam mit einem glühenden und auch risikofreudigen Schwung los, mit einer zuweilen sogar fast herrischen Energie, mit Nachdruck und auch zartester Empfindung. Tetzlaff spielt nicht nur, er spricht zugleich, versenk sich in kleine Gesten und Figuren und jagt dahin. Das klingt bald lieblich und bald wie ein Taumel. Heute Freitagabend wird er statt Brahms ein neues Stück präsentieren: eine große Arie, eine Ansprache voller Emotionalität, nämlich das Violinkonzert, das Jörg Widmann vor einem Jahr für ihn geschrieben hat. Und womöglich wird er wiederum so schön Bach hinzugeben. Das höchst präsent aufspielende Tonhalle-Orchester wird danach unter Haenchens Leitung nochmals die 1. Sinfonie von Johannes Brahms wiederholen, die sie am Mittwoch schon mit Emotionalität und Verve aufführte. Diese Interpretation ließ einen etwas von jenem Ausbruch spüren, den das Werk für den Komponisten bedeutete: es is ein Befreiungsakt sondergleichen, manchmal eine Zerreißprobe – und in den Soli einzelner Orchestermusiker Hingabe.
Thomas Meyer