NRC Handelsblad, 08. Januar 2001
Mahler IV von Haenchen ist überrumpelnd
Unter Haenchens Händen ist Mahlers Vierte Symphonie ein Werk von Extremen. Wie seine Sicht der Zweiten Symphonie sich wie eine intensive, mystische Erfahrung belauschen ließ, so ist auch diese Vierte Symphonie eine mit auffallend viel Sorge und Einlebungsvermögen erzählte Geschichte von Himmel und Erde, Liebe und Chaos, Unschuld und Verderbnis.
Haenchens Mahler ist ein Mahler von Ursache und Gefolge, gefallsüchtigen Klimaxen, Verzögerungen oder einer fettigen Annäherung der Melodik abgeneigt. Statt dessen zeigt Haenchen die vertrauten Noten in einem eigensinnigen Licht und realisiert auf dieser Weise, ruhig doch überrumpelnd, eine Vierte Symphonie voll neuer Farben und Atmosphären.
Haenchen betrachtet Mahlers Sinfonien wie Programmusik. Mahlers Musik handelt nicht von Melodik und Rhythmus, sondern von gut, schlecht und zwei Seelen in einer Brust. Anders wie anderen läßt Haenchen die vier Teile der Vierten Symphonie als ein verzögerter Seufzer erklingen, wozu Mahlers zwei Gesichte in einer Einatmung (1. und 2. Teil) und einer Ausatmung (3. und 4. Teil) polar gegen einander ausgespielt werden.
Mit der Niederländischen Philharmonie hat Haenchen in dieser Vierten Symphonie aufs neue ein Orchester, in welchem die Affinität und die Erfahrung mit Mahlers Idiom zu einem runden, wendbaren und prahlenden Klang geführt haben, der auch in der als Rahmen gespielten Musik von Mahlers Zeitgenossen Hugo Wolf und Johann Wagenaar zu schönen und stilgerechten Aufführungen führten.
Mischa Spel