Sinfoniekonzerte

Frankfurter Rundschau, 10. Juni 2006
Dresdner Musikfestspiele
Eine Lokomotive für Enthusiasmus

(...)
Der Klang der Grundmauern

Hier realisierte der charismatische Dirigent und Festspielleiter Hartmut Haenchen am Eröffnungsabend der Festspiele eine Monumentalaufführung der 2. Symphonie von Gustav Mahler mit acht Konzertchören und instruierten Mitsängern aus dem Dresdner Publikum (eine gut vertrauensbildende, Hörer bindende Maßnahme). Anrührendster Moment der gelungenen Wiedergabe war der leise Chorbeginn im Finale, wo die unbewegt auf ihren Emporenplätzen sitzenden Choristen gleichsam die Kirche selbst in ihren Grundfesten zum zart-geheimnisvollen Tönen zu bringen schienen. (...)

Hans-Klaus Jungheinrich
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Sächsische Zeitung, 28. Mai 2006
Monumentale Kraft

Unter den lebenden Dirigenten von Rang dürfte es kaum einen geben, der mit dem Werk Gustav Mahlers auch so vertraut ist wie Hartmut Haenchen (63), Intendant der Dresdner Musikfestspiele. Umfangreiche Veröffentlichungen zeugen von seiner intensiven Beschäftigung mit den Hintergründen der Sinfonien Mahlers. Die Eröffnung der diesjährigen Festspielkonzerte am Donnerstag mit Gustav Mahlers 2. Sinfonie c-Moll, auch Auferstehungssinfonie genannt, unter Haenchens Leitung ließ im Vorfeld Außergewöhnliches erwarten. Und diese Erwartungen haben sich voll erfüllt.

Das Überraschendste war, dass sich trotz einiger hundert Mitwirkender die Raumakustik der Kreuzkirche nicht negativ ausgewirkt hat. Vielleicht hat der ehemalige Kruzianer Haenchen ein sicheres Gefühl dafür, wie die Probleme seiner ersten musikalischen Wirkungsstätte bewältigt werden können.
Den Beginn der Sinfonie gestaltete er aufrüttelnd und erschütternd als Sturz ins Bodenlose, nutzte dabei den relativ spitzen Klang der Violinen des ausgezeichneten Japan Philharmonic Orchestra als Gestaltungselement. Pseudoseligkeit und scheinbarer Friede dominierten im zweiten Satz, ins Leere laufende Biederkeit im dritten, bis es zum orchestralen Entsetzensschrei kam. Vorzüglich die Klangbalance in den letzten beiden Sätzen; Chöre (feste Ensembles und Liebhaber ohne sonstige chorische Bindung) und die beiden Solistinnen waren auf den Emporen postiert, und das Fernorchester in den Sakristeiräumen war ebenso präzis wie alle anderen.

Trost und Triumph

Der Schlusssatz war nicht nur ein alles verschlingender Abgrund sondern auch Trost (mit großartigem Piano der Chöre) und Triumph über den Tod – Haenchen bewies erneut seine Freude am Monumentalen und an der großen Besetzung und sein Geschick im Umgang mit beidem (...) Beide Sängerinnen hatten maßgeblichen Anteil an einer bemerkenswerten Aufführung.

Peter Zacher
Dresdner Neueste Nachrichten, 27. Mai 2006
(...) die Hartmut Haenchens von emotionaler Tiefe und Bekenntnishaftigkeit geprägter Interpretationsansatz geradezu herausforderte (...)
Bewegendster Moment der in ihrer Art in sich geschlossenen Aufführung war das sanfte, innige, völlig unopernhafte Eintauchen der Solistin Birgit Remmert ins „Urlicht“. So wird sich Mahler wohl das Hohelied auf seine Gottessehnsucht vorgestellt haben. Und dann nahte auch schon das gespenstische „Dies irae“. In vollendeter Makellosigkeit absolvierte der Bläserfernchor seinen Part.
Vor allem aus Dresdner Chören bestand der Gesamtchor – beeindruckend in seiner gestalterischen Übereinstimmung mit dem Dirigenten Haenchen, so intensiv und zu großen Steigerungen fähig, wie man es sich nur wünschen kann, den Kolonnen von Toten faszinierend Ausdruck gebend. Die expressive Gestaltungskraft der Altistin Birgit Remmert und der Sopranistin Alexandra Coku passte sich bruchlos ein.

M. Hanns
Trouw, 07. Juni 2000
Hartmut Haenchen schrieb in einem Büchlein fiktive Briefe von dem Komponisten und kroch auf dieser Weise in Mahlers Haut. Im Amsterdamer Concertgebouw ließ er mit seiner Niederländischen Philharmonie so viel wie möglich den Komponisten über seine Noten zu Worte kommen.

Es gaben noch mehr Besonderheiten in Haenchens Interpretation. Bei ihm spielt eine extra aufgestellte einzelne Bläsergruppe den Anfang vom "Urlicht" (mit besonders schönem Effekt) und im Pizzikato-Teil im 2. Satz hielten die Violinisten ihre Violine wie eine Gitarre fest, so wie Mahler es vorschreibt. Die wortgenaue Befolgung der Partitur (unverfälschte Komma's wo Mahler sie wollte) erbrachte wundervolle Momente.

Peter van der Lint
Het Parool, 05. Juni 2000
Hartmut Haenchen weiß so viel von Mahler, daß er vollständig in seine Haut kriechen kann und eine Reihe lesenswerter fiktiven Briefe schreiben kann, die ungemein glaubwürdig sind. Er hat seine Niederländische Philharmonie voll in der Hand, er treibt sie an zu perfekten Pizzikati und murrendem Blech und er läßt den Alt Andrea Bönig gewähren, von dem erlösenden Roten Röschen zu singen.

Paul Janssen
NRC Handelsblad, 05. Juni 2000
Haenchen erzählt bildhaft und eindringlich, so wie das dieser Sinfonie mit Gesangtexten über Tod, Auferstehen und ewiges Leben zugrunde liegt.

Kasper Jansen
Het Parool, 13. November 1990
Mahler ohne katholischen Prunk. Ich erinnere mich an ein Interview mit Haenchen über Mahlers Sechste, in dem er auseinandersetzte,daß das große Finale von dem Werk absolut nicht als eine triumphale Klimax gesehen werden muß, sondern als ein Zeichen von Machtlosigkeit und Desillusion. Eine Dornenkrone sozusagen. Dieses Konzert brachte eine ähnliche Erfahrung. So wie Haenchen in der Sechsten gegen das vollkommen falsche Bild von spätromantischer Selbsgenügsamkeit gekämpft hatte, so entkleidete Haenchen die Zweite Sinfonie ihres katholischen Prunks und brachte die Musik in die Perspektive der Wunderhornlieder. Kurz und gut: Die Zweite ist bei Haenchen frühromantisch mit spätromantischen Mitteln. Hier ist "Urlicht" der tatsächliche Kulminationspunkt der Sinfonie.
Algemeen Dagblad, 13. November 1990
Unvergesslicher Mahler: Spitzenleistung: Haenchen lieferte eine Spitzenleistung mit der immensen Besetzung der Auferstehungssinfonie. Haenchen überzeugte ebensosehr mit dem "Wiener Schmalz" im Andante als auch in den emotionalen Entladungen des ersten Satzes. In diesem Allegro führte Haenchen das Orchester fleckenlos durch die vielen Sphären-wechsel und plazierte das Groteske direkt neben den innigen Klagegesang. Der zerbrechliche Charakter, womit er den Mittelteil eröffnete, war wiederum ein Beweis der Qualität von Haenchen und seinen Musikern.
Trouw, 12. November 1990
Sicht auf strahlendes Leben durchglüht Haenchens Mahler: (...) Wichtig ist, daß Haenchen mit seinem Orchester so viel tun kann, daß er zu einer spannenden Lesart kommt,daß er in Mahlers Erzählung eigene, aber textgetreue Akzente und Farben setzen kann. In dieser Aufführung schien die ganze Sinfonie von einem strahlenden Licht durchzogen zu sein, dem "Urlicht". Den Lichteffekt erreichte Haenchen dank des schönen "toucher" mit dem er seinen Orchesteraparat bespielt, was die Streicher zu lyrischem Singen inspirierte. Selbst in den größten dynamischen Ausbrüchen, wo sich dramatische Abgründe auftun, blieb der Tutti-Klang entspannt und strahlend. Und wie hauchzart,kavaliermäßig tanzte der zweite Satz worin eine wehmütige Wiener Sphäre nicht allein nach dem Buchstaben der Partitur, sondern auch dem Geiste nach die schreienden Leiden des spätromantischen Menschen offenbarte.
De Telegraaf, 12. November 1990
Imposanter Mahler unter Haenchen Mit der Bewegung des zweiten Satzes wußte Haenchen ausgezeichnet umzugehen, ebenso mit der Wunderhorn-Sphäre des dritten. Das alles brachte genügend Inspiration um auch die letzten zwei Sätze voll Intensität und Pracht zum klingen zu bringen. Die minutenlangen Ovationen im ausverkauften Großen Saal des Concertgebouw waren verdient. Das war wirklich ein Mahler (...) der nach Mahler klang. Das gelingt nicht jedem Dirigenten.