Sinfoniekonzerte

Süddeutsche Zeitung, 04. Oktober 2006
Süddeutsche Zeitung, 4.10.2006

MUSIKFEST
Die Philharmoniker begeistern unter Hartmut Haenchen

Felix Mendelssohn Bartholdys „Reformations“-Symphonie aus dem Jahr 1829, danach Schuberts große „Missa Solemnis“ in As-Dur von 1822 – programmatischer und ökumenischer kann ein Konzert kaum sein. Doch Hartmut Haenchen strebte bei seinem ersten Konzert mit den Münchner Philharmonikern im Gasteig nicht das Naheliegende an: Mendelssohns luzide Dramatik und Schuberts subtiles Pathos einander anzunähern. Stattdessen wirkte die Mendelssohn-Symphonie, als wäre sie auf Originalinstrumenten gespielt, sehnig gespannt, vibratoarm und plastisch artikuliert in den Streichern, pointiert in den Bläsern – „sprechend“ musiziert. Das machte aus dem Scherzo ein heiteres Intermezzo und nahm wundersamerweise jeder Steigerung und selbst der Choralvariation des Finales alles unnötige Gewicht.
Schuberts große, feierliche Messe dagegen war ganz aus dem Geist Beethovens und noch mehr Bruckners musiziert, mit einem groß besetzten Philharmonischen Chor, einer akustisch stets präsenten Orgel und Klangballungen, die Schuberts Melos ins Überdimensionale steigerten. Seine harmonischen Kühnheiten wurden üppig garniert und auf einem Silbertablett präsentiert. Das soll keineswegs heißen, der exzellente Chor hätte nicht piano singen dürfen, aber die Artikulation- und Ausdrucksintensität, die von ihm gefordert wurde, und das gleichsam eigenständige Musizieren, das den Solisten Alexandra Coku, Monica Groop, Christian Elsner und Michael Volle gestattet wurde, war doch außergewöhnlich. Und auch das Orchester konnte ungebremst aus sich herausgehen, entfaltete Bläser- und Streicherglanz fast ein bisschen zu grandios. Daran musste man sich nach der ersten Hälfte und ihrem schlanken, ebenso strengen wie leichtfüßigen Musizieren zwar erst gewöhnen, aber der Wirkung von Franz Schuberts großartiger Messe tat das keinen Abbruch, auch nicht dem Wunsch, Hartmut Haenchen öfter am Pult der Philharmoniker zu erleben.
Klaus Kalchschmid