Sinfoniekonzerte

Frankfurter Rundschau, 26. Juli 2016
Wie so oft überragten die musikalischen Ereignisse bei weitem die szenische Kraut-und-Rüben-Mischung. Der kurzfristig hinzugezogener Dirigent Hartmut Haenchen ist nun eine unbezweifelbare Wagner-Instanz; er dirigierte ein feinnervig reagierendes Orchester und einen ... hervorragend einstudierten und klangmächtigen Chor (Eberhard Friedrich). Haenchens Klangbild ist schlank und transparent in den agilen Tempi des frühen Boulez, aber dessen Sprödigkeit wird deutlich konterkariert durch einige Prisen Knappertsbusch, die an zentralen Stellen auch durchaus pathetische Ausbuchtungen evozieren. Gleichwohl mutet diese Melange nicht gezwungen an, sondern auf sichere und „natürliche“ Weise aus dem Musikstrom heraus entwickelt.
Hans-Klaus Jungheinrich
Ganze Rezension
Frankfurter Rundschau, 05. Februar 2011
Ein Mensch im Wald

Die rare Überraschung kommt aus Brüssel: Regisseur Romeo Castellucci vermag mit ästhetischer Wucht selbst hartgesottene Wagnerfans zu verblüffen. So gibt es den Schwan nur als Gerippe. Im Kontrast dazu liefert Dirigent und Parsifal-Spezialist Hartmut Haenchen einen profunden Zugang zur Musik.

Ein Bühnenweihfestspiel für Bayreuth ist „Parsifal“ längst nicht mehr. Insofern gehört der neue Brüsseler „Parsifal“ zu den raren Überraschungen in der internationalen Szene. La Monnaie-Chef Peter de Caluwe hat Hartmut Haenchen mit Romeo Castellucci konfrontiert: den perfektionstischen deutschen Parsifal-Spezialisten mit dem italienischen Opernneuling.

Am Pult des La-Monnaie-Orchesters steht damit ein seit Jahrzehnten mit dem Stück vertrauter Partitur-Durchpflüger und -Neubefrager, der sich auf ein Tempo einstellt, das der eigenen Kritik des Komponisten an der Uraufführung folgt. Auf der Bühne ist ein eigensinniger, theaterprojektgeschulter Visionär am Werke, der sich weder um die üblichen Aufführungs-Ingredienzien noch um die Rezeptionsgeschichte schert. Der Regisseur, der als studierter Bühnenbildner und Maler auch sein eigener Ausstatter ist, fängt quasi bei Null an und bietet am Ende mehr Fragen als Antworten, vermag aber mit ästhetischer Wucht selbst hartgesottene Wagnerfans zu verblüffen. Den Schwan gibt es bei ihm nur als Gerippe (dafür immer mal eine weiße Schlange und einen Schäferhund). Er erspart Parsifal zu Beginn den Bogen und am Ende die Rüstung. Er erlässt Amfortas die Wunde und schenkt ihm das Leben und erspart Kundry das Füßewaschen und -trocknen. Nicht mal den Speer gibt es wirklich. Dafür jede Menge theaterkluge und assoziationsgeladene Einfälle, von Aufzug zu Aufzug einen Wechsel der Bildästhetik, die sowohl in überschießender Opulenz als auch in radikaler Reduktion fasziniert. Und doch gibt es in all den metaphorischen Wechselbädern auch so etwas wie einen Weg Parsifals zu sich selbst und damit in die Einsamkeit.

Ein urgründiges Paradies

Wenn zum Vorspiel noch ein projiziertes Porträt von Wagners Hassfreund Nietzsche, samt echter Schlange auf Ohr-Höhe, dem Tod Gottes ins Auge blickt und sich diese Radikalität bei der ersten Gralsenthüllung wiederholt, dann sorgt Castellucci im ersten Aufzug für den wohl opulentesten Wald der bisherigen Operngeschichte. In dieses urgründig wabernde Paradies, in dem sich Menschen zu verbergen suchen, dringt Parsifal scheinbar direkt von heute aus ein. Er erfasst als reiner Tor das rätselhaft Bedrohliche dieser Welt, befreit die gefesselte Kundry, wiegt sich im Gleichklang mit ihr in der Fauna, wischt sich synchron mit Amfortas die Schminke aus dem Gesicht, bleibt aber am Ende, wenn diese Natur untergeht, allein.

Klingsors Welt ist der radikale Kontrast. Ein weißer Raum, auf dessen Gazevorhang ein Kompendium tödlicher Gifte projiziert wird, mit Kronleuchter und Podest für den Dirigenten Klingsor. Ein Nietzsche-Alptraum, der den Musiker Wagner als gedoubelten Vergifter sieht. Mit gefesselten und aufgehängten weißen Frauengestalten und mit einem Parsifal, der sich im Spiegelbild seines Schildes immer wieder selbst zu erkennen versucht.

Der dritte Aufzug gerät auf der leergeräumten schwarzen Bühne zur ernüchternden Ankunft Parsifals in der der Gegenwart, zunächst auf einen Diskurs zwischen Gurnemanz und Parsifal reduziert. Dann füllen nach und nach Alltagsmenschen die Bühne. Auch in diesem Minimalismus gelingt es Castellucci, seinen intuitiven Zugang mit einem Coup zu krönen: Zum Karfreitagszauber marschieren sie los, an der Rampe, in Richtung des erleuchteten Zuschauersaals. Auf uns zu, wenn es gut geht, zu sich selbst.

Am Ende entschwindet Kundry mit allen anderen, bis die Projektion einer beklemmenden Stadtvision den in der Einsamkeit angekommenen Parsifal umschließt. Für diese verblüffende, auf Visionen setzende Lesart ist Haenchens zuspitzender, eher nach außen gekehrter als auf pure Suggestion gerichteter Zugang eine passende Entsprechung.

Andrew Richards ist ein konditionsstark strahlender Parsifal, der sein Charisma in der Begegnung mit der dunkel timbrierten, intensiven Kundry von Anna Larsson zu dosieren vermag. Thomas Johannes Mayer ist ein kernig eloquenter Amfortas, Tómas Tómasson ein hinreichend diabolischer Klingsor, Jan-Hendrik Rootering ist ein würdiger Gurnemanz. Auch die übrigen Rollen sind mit Sorgfalt besetzt, und das La Monnaie hat der Wagner-Welt zum zweiten Mal (nach Jan Fabres „Tannhäuser“) Zuwachs beschert: Romeo Castellucci heißt der Mann.
Frankfurter Rundschau, 12. März 2008
Frankfurter Rundschau, 13.3.2008
Dresdner Neueste Nachrichten, 12.3.2008

Zwei Sachsen an der Seine
An der Pariser Opera Bastille macht ein neuer „Parsifal“ Furore – mit Hartmut Haenchen<(b> am Pult

...Ob die Pariser die eigentliche Sensation des Abends bemerkt haben, lässt sich nicht so ganz ausmachen, obwohl der Jubel für Hartmut Haenchen und seine durchweg erstklassigen Protagonisten ungeteilt war. Dabei war Haenchen mehr und grundsätzlicher von einer Tradition der Interpretation abgewichen, als es Warlikowski nach den radikalen Deutungen von Friedrich, Kupfer über Konwitschny, Nel, Alden oder auch Schlingensief überhaupt noch könnte. Und das, nicht weil er sich von Wagners Intentionen zu emanzipieren versucht, sondern im Gegenteil, weil er sie zu erfassen sucht. Das ist in Sachen „Parsifal“, neben aller Perfektion des Eindringens in die sich wölbende Klangarchitektur, am Ende eine Frage des Tempos.
Man glaubt es kaum, aber es gibt Interpretationen, die bald an die Fünfstundengrenze heran reichen. Hartmut Haenchen bleibt sogar noch fünf Minuten unter vier Stunden! Hartmut Haenchen erweist sich mit diesem Parsifal – wie schon mit seinem Amsterdamer Ring vor zehn Jahren – als ein hochsouveräner, sinnlicher Wagnerdirigent von Rang mit einer eigenen, erfrischend klaren, dabei stets intensiv den Raum (auch den riesigen der Bastille) füllenden, doch nie lärmenden Wagnerauffassung.
Haenchen wäre eigentlich der Bayreuthdirigent, der im Vergleich mit Christian Thielemann
eine produktive Spannung und Erneuerung versprechen würde.
Jachim Lange
Frankfurter Rundschau, 06. September 1990
Die musikalischen Geschicke des langen Abends waren bei Hartmut Haenchen in den besten Händen. Mit durchaus auch heftig aufwühlender Gestik brachte Haenchen die Höhepunkte der großangelegten Chor- und Orchesterbilder ein. Dennoch dominierte eine feingeschliffene, auf differenzierte Valeur-Ausleuchtung bedachte Vortragsart, die sich der unteutonisch -"impressionistischen" Boulez-Tugenden versicherte, ohne ins eilig Unscheinbare, Fischige zu entgleiten - bei sehr mäßigen Tempi entstand doch niemals der Anschein von Verbreiterung, waltete immer ein ruhig artikuliertes Fließen.