Sinfoniekonzerte

Nordbayerischer Kurier, 28. Juli 2017
Haenchen setzt das Werk neu zusammen
..."Und so ist es erneut allein Hartmut Haenchen, der am Pult das tut, was eigentlich auch Aufgabe der Regie gewesen wäre: Das Werk komplett auseinanderzunehmen, zu analysieren und dann wieder wie neu zusammenzusetzen. Und das ist es, was den Reiz dieser musikalischen Interpretation ausmacht: Haenchen folgt keinem Drehbuch, er versucht kein musikalisches Bilderbuch zu kreieren, keinen Actionfilm, keinen Gottesdienst. Er dirigiert, was in den Noten steht, einfach geradeaus, und zwar - wenn sich sein Tun überhaupt in Worte fassen lässt, dann so - ohne zu übertreiben."...
Florian Zinnecker
Ganze Rezension
Nordbayerischer Kurier, 25. Juli 2016
Nordbayerischer Kurier, 28. Januar 2011
Nordbayerischer Kurier, 28.1.2011

Ein Bühnenweihfestspiel für Bayreuth und den (Wagner-)Erdkreis ist „Parsifal“ schon längst nicht mehr.
Damit war es im Grunde schon vorbei, als er den Grünen Hügel verlassen durfte und sich, nach den unrühmlichen diversen Vereinnahmungen bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts, Regisseure wie Harry Kupfer, Peter Konwitschny oder auch Sebastian Baumgarten mit ihrem szenischen Analyseehrgeiz seiner annahmen. Spätestens aber, seit Wagner-Enkel Wolfgang sogar in Bayreuth den inszenatorischen Sündenfall namens Christoph Schlingensief zuließ und Stefan Herheims Nachfolge-Inszenierung den Parsifal gleich noch zum Tribunal für die braun kontaminierte Geschichte von Werk, Clan und Nation ausweitete, ist es zumindest mit der weihevollen Erbaulichkeit auch dort vorbei. Die beklemmend postkatastrophische Vision Calixto Bieitos, letztes Jahr in Stuttgart, lag da in der Marktlogik des Opernbetriebes.
Da das eigentlich kaum noch zu überbieten ist, gehört der neue Brüsseler Parsifal zu den raren Überraschungen in der längst internationalisierten Szene. La Monnaie-Chef Peter de Caluwe hat nämlich Hartmut Haenchen mit Romeo Castellucci konfrontiert; also den akribisch perfektionstischen deutschen Parsifal-Spezialisten mit dem 51jährigen italienischen Opernneuling, der u.a. vor drei Jahren in Avignon mit seiner Version von Dantes Göttlicher Komödie Furore machte.
Intuitiv bewusst
Am Pult des La Monnaie Orchesters steht damit ein seit Jahrzehnten mit dem Stück vertrauter Partitur-Durchpflüger und -
Neubefrager, der sich so bewusst wie intuitiv auf ein Tempo einstellt, das der eigenen Kritik des Komponisten an der Uraufführung folgt, und bei einer Länge für den ersten Aufzug von gut nachvollziehbaren einer Stunde siebenunddreißig Minuten landet.
Und auf der Bühne ist ein eigensinniger, theaterprojektgeschulter Visionär am Werke, der sich weder um die üblichen Aufführungs-Ingredienzien, noch um die Rezeptionsgeschichte schert.
Der Regisseur, der als studierter Bühnenbildner und Maler auch sein eigener Ausstatter ist, fängt mit seinen Visionen quasi bei Null an, bietet am Ende mehr Fragen als Antworten, vermag es aber mit autonomer ästhetischer Wucht selbst hartgesottene Wagnerfans zu verblüffen. Den Schwan gibt es bei ihm nur als Gerippe (dafür immer mal eine weiße, paradiesische Schlange und einen Schäferhund). Er erspart Parsifal zu Beginn den Bogen und am Ende die Rüstung. Er erlässt Amfortas (am Ende) die Wunde und schenkt ihm das Leben und er erspart Kundry das Füßewaschen und -trocknen. Nicht mal den Speer gibt es wirklich.
Dafür jede Menge theaterkluge und assoziationsgeladene Einfälle, von Aufzug zu Aufzug einen radikalen Wechsel der Bildästhetik, die sowohl in der überschießenden Opulenz als auch in der radikalen Reduktion fasziniert. Und doch gibt es in all den metaphorischen Wechselbädern auch so etwas wie einen Weg Parsifals zu sich selbst und damit in die Einsamkeit. Wenn zum Vorspiel noch ein projiziertes Porträt von Wagners Hassfreund Nietzsche, samt echter Schlange auf Ohr-Höhe, sozusagen dem Tod Gottes ins Auge blickt, und sich diese Radikalität bei der ersten Gralsenthüllung wiederholt, die hinter einem weißen Vorhang mit nichts als einem Apostroph verbannt ist, dann sorgt Castellucci im ersten Aufzug für den wohl opulentesten Wald der bisherigen Operngeschichte.
Synchron mit Amfortas
In dieses urgründig wabernde Paradies, in dem sich Menschen zu verbergen suchen, dringt Parsifal scheinbar direkt von heute aus ein. Er erfasst als reiner Tor das rätselhaft Bedrohliche dieser Welt, befreit die gefesselte Kundry, wiegt sich im Gleichklang mit ihr in der lebenden Fauna, wischt sich synchron mit Amfortas die Schminke aus dem Gesicht, bleibt aber am Ende, wenn diese Urnatur untergeht, um Ahnungen reicher, aber gänzlich allein.
Klingsors Welt ist der radikale Kontrast. Ein höllisch weißer Raum auf dessen Gazevorhang ein Kompendium von Menschen tötenden Giften projiziert wird, mit einem Kronleuchter und einem Podest für den Dirigenten Klingsor. Ein Nietzsche-Alptraum, der den Musiker (Wagner) als obendrein gedoubelter Vergifter sieht? Alles mit einer sprichwörtlichen Hellsichtigkeit aus dem Nahtodbereich. Mit unsichtbaren Blumenmädchen, aber gefesselten und aufgehängten unwirklich weißen Frauengestalten und mit einem Parsifal, der sich im Spiegelbild seines Schildes immer wieder selbst zu erkennen versucht und sich zugleich in einer projizierten und sich verselbstständigenden Seelenschattenexistenz handfest verführen lässt.
Der dritte Aufzug dann gerät auf der leergeräumten schwarzen Bühne zu einer ernüchternden Ankunft Parsifals mitten in der der Gegenwart. Zunächst auf einen Diskurs zwischen Gurnemanz und Parsifal reduziert, füllen nach und nach immer mehr Alltagsmenschen von heute die Bühne. Auch in diesem ausgestellten Minimalismus gelingt es Castellucci, seinen intuitiven Zugang mit einem Coup zu krönen: Zum Karfreitagszauber nämlich marschieren sie allesamt los, an der Rampe, mit Ausdauer und geradewegs Richtung des erleuchteten Zuschauersaal. Auf uns zu, wenn es gut geht zu sich selbst.
Keine pure Suggestion
Am Ende bleibt diesem Parsifal der Schritt auf Kundry zu verwehrt, sie entschwindet mit allen anderen, bis die Projektion einer beklemmenden Stadtvision diesen in der Einsamkeit angekommenen Parsifal umschließt. Für diese eigenwillig verblüffende, auf Visionen setzende szenische Lesart ist Haenchens dramatisch zuspitzender, transparent und eher nach außen gekehrte als auf pure Suggestion gerichteter Zugang eine passende Entsprechung.
Andrew Richards ist ein konditionsstark strahlender Parsifal, der sein Bühnencharisma auch in der Begegnung mit der dunkel timbrierten, intensiven Kundry von Anna Larsson zu dosieren vermag, Thomas Johannes Mayer ein kernig eloquenter Amfortas, Tómas Tómasson ein hinreichend diabolischer Klingsor, Jan-Hendrik Rootering ist ein fast bis zum Schluss würdiger Gurnemanz. Aber auch alle übrigen Rollen sind mit Sorgfalt besetzt.
Und das La Monnaie hat der Wagner-Welt zum zweiten Mal (nach Jan Fabres mit seinem Tannhäuser) einen echte Zuwachs beschert: Romeo Castellucci heißt der Mann.
Joachim Lange
Nordbayerischer Kurier, 28. Januar 2011
Nordbayerischer Kurier, 28.1.2011

Ein Bühnenweihfestspiel für Bayreuth und den (Wagner-)Erdkreis ist „Parsifal“ schon längst nicht mehr.
Damit war es im Grunde schon vorbei, als er den Grünen Hügel verlassen durfte und sich, nach den unrühmlichen diversen Vereinnahmungen bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts, Regisseure wie Harry Kupfer, Peter Konwitschny oder auch Sebastian Baumgarten mit ihrem szenischen Analyseehrgeiz seiner annahmen. Spätestens aber, seit Wagner-Enkel Wolfgang sogar in Bayreuth den inszenatorischen Sündenfall namens Christoph Schlingensief zuließ und Stefan Herheims Nachfolge-Inszenierung den Parsifal gleich noch zum Tribunal für die braun kontaminierte Geschichte von Werk, Clan und Nation ausweitete, ist es zumindest mit der weihevollen Erbaulichkeit auch dort vorbei. Die beklemmend postkatastrophische Vision Calixto Bieitos, letztes Jahr in Stuttgart, lag da in der Marktlogik des Opernbetriebes.
Da das eigentlich kaum noch zu überbieten ist, gehört der neue Brüsseler Parsifal zu den raren Überraschungen in der längst internationalisierten Szene. La Monnaie-Chef Peter de Caluwe hat nämlich Hartmut Haenchen mit Romeo Castellucci konfrontiert; also den akribisch perfektionstischen deutschen Parsifal-Spezialisten mit dem 51jährigen italienischen Opernneuling, der u.a. vor drei Jahren in Avignon mit seiner Version von Dantes Göttlicher Komödie Furore machte.
Intuitiv bewusst
Am Pult des La Monnaie Orchesters steht damit ein seit Jahrzehnten mit dem Stück vertrauter Partitur-Durchpflüger und -
Neubefrager, der sich so bewusst wie intuitiv auf ein Tempo einstellt, das der eigenen Kritik des Komponisten an der Uraufführung folgt, und bei einer Länge für den ersten Aufzug von gut nachvollziehbaren einer Stunde siebenunddreißig Minuten landet.
Und auf der Bühne ist ein eigensinniger, theaterprojektgeschulter Visionär am Werke, der sich weder um die üblichen Aufführungs-Ingredienzien, noch um die Rezeptionsgeschichte schert.
Der Regisseur, der als studierter Bühnenbildner und Maler auch sein eigener Ausstatter ist, fängt mit seinen Visionen quasi bei Null an, bietet am Ende mehr Fragen als Antworten, vermag es aber mit autonomer ästhetischer Wucht selbst hartgesottene Wagnerfans zu verblüffen. Den Schwan gibt es bei ihm nur als Gerippe (dafür immer mal eine weiße, paradiesische Schlange und einen Schäferhund). Er erspart Parsifal zu Beginn den Bogen und am Ende die Rüstung. Er erlässt Amfortas (am Ende) die Wunde und schenkt ihm das Leben und er erspart Kundry das Füßewaschen und -trocknen. Nicht mal den Speer gibt es wirklich.
Dafür jede Menge theaterkluge und assoziationsgeladene Einfälle, von Aufzug zu Aufzug einen radikalen Wechsel der Bildästhetik, die sowohl in der überschießenden Opulenz als auch in der radikalen Reduktion fasziniert. Und doch gibt es in all den metaphorischen Wechselbädern auch so etwas wie einen Weg Parsifals zu sich selbst und damit in die Einsamkeit. Wenn zum Vorspiel noch ein projiziertes Porträt von Wagners Hassfreund Nietzsche, samt echter Schlange auf Ohr-Höhe, sozusagen dem Tod Gottes ins Auge blickt, und sich diese Radikalität bei der ersten Gralsenthüllung wiederholt, die hinter einem weißen Vorhang mit nichts als einem Apostroph verbannt ist, dann sorgt Castellucci im ersten Aufzug für den wohl opulentesten Wald der bisherigen Operngeschichte.
Synchron mit Amfortas
In dieses urgründig wabernde Paradies, in dem sich Menschen zu verbergen suchen, dringt Parsifal scheinbar direkt von heute aus ein. Er erfasst als reiner Tor das rätselhaft Bedrohliche dieser Welt, befreit die gefesselte Kundry, wiegt sich im Gleichklang mit ihr in der lebenden Fauna, wischt sich synchron mit Amfortas die Schminke aus dem Gesicht, bleibt aber am Ende, wenn diese Urnatur untergeht, um Ahnungen reicher, aber gänzlich allein.
Klingsors Welt ist der radikale Kontrast. Ein höllisch weißer Raum auf dessen Gazevorhang ein Kompendium von Menschen tötenden Giften projiziert wird, mit einem Kronleuchter und einem Podest für den Dirigenten Klingsor. Ein Nietzsche-Alptraum, der den Musiker (Wagner) als obendrein gedoubelter Vergifter sieht? Alles mit einer sprichwörtlichen Hellsichtigkeit aus dem Nahtodbereich. Mit unsichtbaren Blumenmädchen, aber gefesselten und aufgehängten unwirklich weißen Frauengestalten und mit einem Parsifal, der sich im Spiegelbild seines Schildes immer wieder selbst zu erkennen versucht und sich zugleich in einer projizierten und sich verselbstständigenden Seelenschattenexistenz handfest verführen lässt.
Der dritte Aufzug dann gerät auf der leergeräumten schwarzen Bühne zu einer ernüchternden Ankunft Parsifals mitten in der der Gegenwart. Zunächst auf einen Diskurs zwischen Gurnemanz und Parsifal reduziert, füllen nach und nach immer mehr Alltagsmenschen von heute die Bühne. Auch in diesem ausgestellten Minimalismus gelingt es Castellucci, seinen intuitiven Zugang mit einem Coup zu krönen: Zum Karfreitagszauber nämlich marschieren sie allesamt los, an der Rampe, mit Ausdauer und geradewegs Richtung des erleuchteten Zuschauersaal. Auf uns zu, wenn es gut geht zu sich selbst.
Keine pure Suggestion
Am Ende bleibt diesem Parsifal der Schritt auf Kundry zu verwehrt, sie entschwindet mit allen anderen, bis die Projektion einer beklemmenden Stadtvision diesen in der Einsamkeit angekommenen Parsifal umschließt. Für diese eigenwillig verblüffende, auf Visionen setzende szenische Lesart ist Haenchens dramatisch zuspitzender, transparent und eher nach außen gekehrte als auf pure Suggestion gerichteter Zugang eine passende Entsprechung.
Andrew Richards ist ein konditionsstark strahlender Parsifal, der sein Bühnencharisma auch in der Begegnung mit der dunkel timbrierten, intensiven Kundry von Anna Larsson zu dosieren vermag, Thomas Johannes Mayer ein kernig eloquenter Amfortas, Tómas Tómasson ein hinreichend diabolischer Klingsor, Jan-Hendrik Rootering ist ein fast bis zum Schluss würdiger Gurnemanz. Aber auch alle übrigen Rollen sind mit Sorgfalt besetzt.
Und das La Monnaie hat der Wagner-Welt zum zweiten Mal (nach Jan Fabres mit seinem Tannhäuser) einen echte Zuwachs beschert: Romeo Castellucci heißt der Mann.
Joachim Lange