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Beethoven, Ludwig van: 5. Sinfonie

Zur Frage der Neuausgabe

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Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 5
Notizen anlässlich einer Aufführung im Amsterdamer Concertgebouw 1988

Uraufführungs-Situation

Die Skizzen zu dieser Sinfonie entstanden zwischen 1803 und 1805. Die Ausarbeitung erfolgte in den Jahren danach und schließlich wurde des Werk im März 1808 nach fünfjähriger Reifezeit vollendet. Die Uraufführung fand in einem damals üblichen Riesenprogramm am 22.12. 1808 im Theater an der Wien zusammen mit der 6. Sinfonie, dem 4. Klavierkonzert, der Chorfantasie und Teilen der C-Dur-Messe statt. Beethoven hatte es aus Enttäuschung über die mangelnde Unterstützung seiner Pläne als sein Abschiedskonzert von Wien geplant. Eine Voraufführung im Palais Lobkowitz war dieser Uraufführung im kleinsten Kreise vorausgegangen. Der Raum ist heute noch zu besichtigen, und es ist beinahe unvorstellbar, wie die Sinfonie selbst mit kleinster Besetzung geklungen haben muß, denn der „Saal“ ist etwa nur 80 qm. Schlüsse auf die Aufführungspraxis daraus zu ziehen, scheint mir unsinnig. Es ging wohl darum, daß Fürst Lobkowitz, der einzige Gönner, der neben Rasumowsky in dieser Zeit noch zu Beethoven hielt und denen die Sinfonie gewidmet ist, das Vorrecht genießen sollte, die Sinfonie als Erster zu hören, bevor sie einem größeren Publikum vorgestellt wurde.

Die Quellen
Es ist erstaunlich, daß ein solch bekanntes Werk erst in den 70er Jahren unseres Jahrhunderts eine erste wirklich kritische Druckausgabe erfahren hat. Es ist das Verdienst von Peter Gülke, die zahlreichen erhaltenen Skizzen, die in Berlin, Krakau, Paris, Wien und New York liegen, zu sichten und die autographe Partitur, die Stichvorlage und den Wiener Stimmensatz mit den autographen Korrekturen verglichen und das Ergebnis 1978 veröffentlicht zu haben.

1. Satz
Es fällt auf, daß die typische Steigerungsform der Phrasierung von der Kleingliedrigkeit zur Großflächigkeit aus strichtechnischen Gründen nie berücksichtigt wird. Sie kann nur durch unterschiedliche Striche der Streichergruppen erreicht werden. Das betrifft zahlreiche andere Stellen, die in den alten Ausgaben richtig stehen, die aber aus strichtechnischen Gründen immer falsch artikuliert werden. Durch die oben genannte Methode erreichen wir wieder die originale musikalische Idee .

2. Satz
In den alten Ausgaben bemühte man sich, scheinbare musikalische Logik herzustellen, indem man Artikulationen zwischen Streichern und Bläsern anglich. Daß man dadurch klangliche Strukturen zerstörte, war den am romantischen Ideal geschulten Herausgebern nicht klar.
So gibt es eine bemerkenswerte Stelle, wenn die Holzbläser das 2. Thema vorsichtig anklingen lassen, bevor es seinen triumphalen Charakter erhält. Die Holzbläser binden nicht über den Taktstrich wie die Streicher, die nur eine Floskel des Themas mitspielen. Dadurch wird trotz des dolce eine bestimmtere Struktur des Themas deutlich. Noch deutlicher wird das in der 4. Variation, in der die Holzbläser das Gegenthema nicht legato spielen sollen, sondern einen deutlichen Kontrast zu den Linien der Streicher bilden müssen.
Zahlreiche dynamische Zeichen erweisen sich beim Studium der Quellen als simple Druckfehler in den alten Ausgaben. Sie waren für den aufmerksamen Leser der Partitur schon immer ein Fragezeichen. Selbst falsche Noten haben sich über mehr als 150 Jahre in den Aufführungen gehalten.

3. Satz
Auch hier finden wir Fehler ähnlicher Art. Der falsche Druck des sforzato-pianos im Takt 13 führt zu einem veränderten Charakter der einleitenden Baß-Linie. Dieses angebliche Forte-Piano ist ein sforzato-diminuendo-piano und hat dadurch einen vielmehr ausschwingenden Charakter.
Auch die großflächigen Bögen sind wieder der Angleichung mit den Bläsern zum Opfer gefallen .
Wichtigste Frage im 3. Satz ist die Wiederholung des Scherzos auf die Peter Gülke in seiner Ausgabe von 1978 erstmalig aufmerksam gemacht hat. In den in Wien benutzten Orchesterstimmen, die auch Korrekturen von Beethovens eigener Hand beinhalten, steht ein Wiederholungszeichen für beinahe das gesamte Scherzo. Da es in den Stimmen nicht durchgestrichen ist, kann man folgern, daß diese Wiederholung bei der Uraufführung auch gespielt wurde. Da Beethoven aber später die Druckvorlage selbst korrigierte und die Wiederholung da nicht enthalten ist, könnte Beethovens letzter Entschluß doch lauten: keine Wiederholung im Scherzo. Dieser Version schließe ich mich jetzt an, obwohl ich früher auch die Wiederholung des Scherzos dirigiert habe.

4. Satz
In keinem Satz sind so viele Fehler in den alten Ausgaben überliefert, wie in diesem: von falschen Noten über selbst falsche Oktaven-Lagen bis zu sehr zahlreichen Fehlern in der Phrasierung und Artikulation .

Tempi
So viel über die Metronomzahlen von Beethoven geschrieben, nachgedacht und gestritten wurde, sie bleiben der einzige konkret meßbare Anhaltspunkt der Temponahme bei Beethoven. Es gibt in seinem Oeuvre wirklich unausführbare Tempi, alle Metronom-Angaben der 5. Sinfonie sind jedoch nicht nur ausführbar, sondern auch logisch in den Verhältnissen zueinander.
Gemessen an der vorwiegenden Aufführungstradition (übrigens berücksichtigen die meisten so genannten „authentischen“ Aufführungen Beethovens Angaben nicht) ergibt sich für den ersten Satz ein sehr schnelles Tempo, welches weit entfernt von Wilhelm Furtwänglers Tempo-Idee ist.
Carlos Kleiber hat für mein Gefühl das Ideal für diesen Satz gefunden. Der zweite Satz ist wirklich mit der Bemerkung con moto flüssig zu nehmen. Der Übergang vom 3. zum 4. Satz ist immer ein Prüfstein der Interpretation. Normalerweise hört man die beiden Allegri des 3. und 4. Satzes im gleichen Grundschlag. Tatsächlich gibt aber Beethoven ein schnelleres Tempo für den 3.Satz und ein ruhigeres für den 4. Satz an. Besonders auffällig ist das, wenn als Tempo primo der 3. Satz zurückkehrt, wo die (falsche) Aufführungstradition sogar eine Verlangsamung des Tempos vornimmt und Beethoven eindeutig die Beschleunigung zum Scherzo-Tempo wollte.

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