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Protest gegen die Auflösungspläne des MCO Hilversum und die weiteren Kürzungen bei anderen Kultureinrichtungen

Die Regierungsvereinbarung der niederländischen Regierung sieht die Aufhebung aller Klangkörper des Rundfunks der Niederlande vor

Als ich 1986 in die Niederlande kam, gab es zwanzig Orchester im Lande. Als ich die Niederlande wegen drastischer Kürzungen in der Kultur 2003 verließ, gab es nur noch elf Orchester, nun noch 10 und jetzt sollen vier weitere Klangkörper verschwinden? Darunter der einzige große Konzertchor der Niederlande? Wenn man das liest, denkt man erst, dass das ein Druckfehler sein muss, denn diese (weiteren) Einschnitte sind ein Kahlschlag in der Kultur. Wie kann es sein, dass nach dem 2. Weltkrieg, in einer Zeit der Armut, prozentual mehr Geld für Kultur verfügbar war und jetzt in Zeiten des Reichtums mehr als die Hälfte der Subventionen in der Kultur gestrichen werden?
Die Verantwortlichen kann ich nur auffordern, sich einmal die internationalen Studien anzuschauen, die die Wechselwirkung zwischen Kultur und sozialen Problemen und Kriminalität anzuschauen. Niemand kann auf die Idee kommen, die ohnehin schon zusammengeschrumpften Klangkörper des öffentlichen Rundfunks und Fernsehens abzuschaffen, denn die Verantwortlichen wüssten dann, dass das jetzt gestrichene Geld wird zeitversetzt für soziale Fragen und gegen Kriminalität ausgegeben werden müssen.
Wir sind uns in Mitteleuropa einig darüber, Diktaturen zu bekämpfen. Aber warum sind Diktaturen manchmal über zu lange Zeit erfolgreich? Weil sie u.a. alle ein umfängliches und meist kostenfreies Jugendprogramm haben, welches künstlerische Betätigung fördert. Die Demokratien sollten ihre Jugendprogramme ausbauen. Die Kosten, die das erfordert, werden schon eine Generation später bei der Sozialhilfe und bei der Bekämpfung der Kriminalität doppelt eingespart werden können. Es gibt keine noch so primitive Menschengemeinschaft ohne Musik. Musik und spekulatives Denken sind im materiellen Sinne - scheinbar - nutzlos. Aber die inzwischen wissenschaftliche bewiesene Wirkung der klassischen Musik, von der höheren Leistung der Milchkuh bis zur grösseren Leistungsfähigkeit von Kindern, die mit klassischer Musik aufwachsen, erbringt am Ende auch materiell greifbare Ergebnisse, obwohl eben gerade diese materiellen Ergebnisse nicht im Zentrum der Kunstdiskussion stehen dürften, denn Kunst hat nicht die primäre Aufgabe „rentabel“ zu sein und muss sich nicht über die Wirtschaftlichkeit definieren. Die Verantwortungsträger verlangen aber immer wieder diese Diskussion. Leider gibt es trotz der wirtschaftlichen Erkenntnisse über die Wirkung von Kultur und Kunst keine entsprechenden politischen Entscheidungen - im Gegenteil: Trotz „Wachstum“ wird im Bereich der Kultur überall und zuerst gekürzt. Alles, was nicht unmittelbar in Geldwert auszudrücken ist, wird „weggespart“, denn Politik denkt nur in Wahlperioden. Kunst und Kultur aber müssen in Menschheitsdimensionen schaffen und denken.
Berlusconi ist beim sparen in der Kultur auch hier wieder einmal Negativ-Beispiel Nummer eins in Europa, dem die neue Regierung in Den Haag offensichtlich noch den Rang ablaufen will. Demgegenüber kann man nur rufen: Humanistische Bildung ist ein Bürgerrecht. Ihre Verweigerung ist inhuman und im höchsten Maße wirtschaftsschädigend, denn die Bildungsverlierer von heute sind die wirtschaftlich Abhängigen von morgen.
Stellt echte Kultur auf den ersten Platz und Europa wird überleben.

Hartmut Haenchen
Ridder in de Orde van de Nederlandse Leeuw

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