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-Sylvestro Ganassi schreibt für die Flötisten: „Wisse, dein Lehrmeister muß der geübte und erfahrene Sänger sein.“
- Georg Philipp Telemann: „Singen ist das Fundament zur Music in allen Dingen.“
- Johann Joachim Quantz: „Ein Jeder Instrumentist muß sich bemühen, das Cantabile so vortragen, wie es ein guter Sänger vorträgt.“
- Johan Georg Pisendel und J.J. Quantz bildeten sich durch das Anhören guter Sänger.
- Carl Philipp Emanuel Bach:„... daß man keine Gelegenheit verabsäumen müsse, geschickte Sänger besonders zu hören; Man lernet dadurch singend dencken, und wird man wohl thun, daß man sich hernach selbst einen Gedancken vorsinget, um den rechten Vortrag desselben zu treffen.
Leopold Mozart: „und also spielen, daß man mit dem Instrumente, so viel es immer möglich ist, die Singkunst nachahme. Und dieß ist das schönste in der Musik“, „... bald aber möchte man wegen dem gähen und unangenehmen Geraffel die Ohren verstopfen.“
- Wolfgang Amadeus Mozart: „nur geht ihr der Wahre reine, singende geschmack im Cantabile ab; sie verzupft alles.“
Ignaz Ferdinand Cajetan Arnold: „Die menschliche Stimme scheint von Natur eingerichtet, den Komponisten zu lehren, was dem Ohre angenehm sey, oder nicht. Und wer sang der Natur getreuer nach, als unser Mozart?“
Robert Schumann sieht es schon etwas differenzierter: „Von Sängern und Sängerinnen läßt sich Manches lernen, doch glaube Ihnen nicht alles.“
Wenn man diese - und viele andere - Statements ernst nimmt, müssten wohl nicht nur die Fragen des Vibratos und der Verzierungen, sondern auch die von Phrasierung und Artikulation bei vielen Vertretern der sogenannten „authentischen Aufführungspraxis“ einmal gründlich überdacht werden. Auf der einen Seite wird das Vibrato heute weitgehend verbannt, obwohl sich zahllose Praktiker, die eben auch Theoretiker waren (anders als es heute ist) mit der Frage des Vibratos auseinandergesetzt haben und sie spätestens seit dem frühen 16. Jahrhundert gelehrt haben. Warum sollten sie es tun, wenn es nach der Meinung vieler heutiger Interpreten nicht angewendet werden soll? Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, die hier nur gestreift werden soll: Ist das heute weitgehend übliche „zerhacken“ (oder wie Mozart sagt: „verzupfen“) und das spielen mit hohem Geräusch-Anteil von „Alter Musik“ wirklich das cantabile, welches den Gesang, laut W.A. Mozart sogar gelegentlich mit portamento, nachahmt? Irrt sich Mozart immer wieder, wenn er in seinen Briefen permanent auf die Wichtigkeit und gute Ausführung des cantabile eingeht?
Was ist Vibrato?
Die Singstimme, die durch Instrumente nachgeahmt werden soll, besitzt ein natürliches Vibrato, welches im Gegensatz zu Instrumenten ohne besonders erlernte Technik entstehen kann. Dieses natürliche Vibrato entsteht aus der Selbstregulation, d.h. es entsteht frei von Muskelaktivität, wenngleich aber Muskeln an diesem Vorgang beteiligt sind. In grundsätzlichen wissenschaftlichen Werken der Sekundärliteratur wie Grove‘s Dictionary of Music and Musicals schreibt Franklyn Kelsey sehr pauschale Urteile mit fatalen Folgen: „The Vibrato. - It was a tenet of the belcantonist that the presence of a vibrato was the infallible hall-mark of a faulty method of using the voice.“ Wichtige Lehrer, wie Frans Vester, die die Generationen von Musikern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgebildet haben, gaben in ihren Texten manchmal sehr verkürzte Anweisungen, die ein sempre non vibrato zur Folge hatten. Einige wenige Autoren wie Andrea von Ramm behaupten „The so-called natural vibrato does not exist“ um weiterhin festzustellen, dass es auch hässliches Vibrato gibt, welches unkontrolliert ist (also doch natürliches H.H.), um dann aber über die Verwendung des Vibratos zu sehr sinnvollen Ergebnissen zu kommen.
Glücklicherweise gibt es auch andere Fachleute auf dem Gebiet der „Alten Musik“, die das natürliche Vibrato anerkennen: „Für René Jacobs gehört ein gut sitzendes, natürliches Vibrato zur Grundausstattung jeder Singstimme. Warum es also künstlich vermeiden?“
Oder bei Nigel Rogers: „Daß Sänger im 17. und 18. Jahrhunderts das Vibrato beherrschten und es vergrößern und verkleinern konnten, ist überliefert. Das Vibrato diente zur Unterstreichung des Affektes... Das natürliche Vibrato der menschlichen Stimme war sicher schneller und pulsierender als das heutige Vibrato.“
Streng genommen ist Vibrato eine geringfügige Frequenzveränderung. Dabei empfinden wir ca. 6 Schwingungen pro Sekunde in der abendländischen Musik als „angenehm“ . Die Trägheit des Ohres erkennt aber, bei gleicher Periodenfrequenz, kaum den Unterschied von Frequenz, Amplitude und Änderung des Formantenspektrums. Deshalb wird in der Praxis der Begriff Vibrato für eine Kombination dieser Phänomene verwendet, auch weil oftmals verschiedene Formen der periodischen Tonveränderung miteinander kombiniert werden (Vibrato, Tremolo, Bebung, Schwebung, Klangfarbenveränderung).
Historisch gesehen hat sich der heutige Begriff Vibrato erst relativ spät entwickelt, aber Formen des heutigen Vibrato sind zumindest seit Anfang des 16. Jahrhunderts nachweisbar. Vor der Einführung des heute üblichen Begriffes Vibrato wurden verschiedene Termini benutzt, die aber durch die vorliegenden exakten Beschreibungen dem heutigen Begriffe weitgehend gleichzusetzen sind: Bebung oder Schwebung und Tremolo oder Tremolo, Tremoleto, Trillo, Mordente fresco im italienischen Sprachgebrauch, im französischen Aspiration, Balancement, Battement, Flattement, Langueur, Martèlement, Pincé, Plainte, Souspir, Tremblement mineur, Verre Cassé und im englischen organ shake, shake, trill, close-shake. Martin Fuhrmann und später Charles Burney, der selbst den zu geringen Einsatz des Vibratos in einigen Gegenden (sic) beklagt, berichten von der diesbezüglichen Sprachverwirrung in ihrer Zeit.
Johann Mattheson war einer der ersten, der eine physiologische Erklärung des Vibratos der Gesangsstimme zu geben versuchte: „Das Tremolo oder das Beben der Stimme ist die allergelindeste Schwebung auf einem einzigen festgesetzten Ton, dabei meines Erachtens das Oberzünglein des Halses (Epiglottis), durch eine gar sanfte Bewegung oder Mäßigung des Atems, das meiste tun muß: So wie auf Instrumenten die bloße Lenkung der Fingerspitzen, ohne von der Stelle zu weichen, gewissermaßen eben das ausrichtet, absonderlich auf Lauten, Geigen und Klavichorden." Zur Frage der Anwendung und Notation sagt er: „Man kann wohl andeuten, an welchem Orte ein solches Zittern oder Schweben geschehen soll, aber wie es eigentlich damit zugehe, kann weder Feder noch Zirkel zeigen: Das Ohr muß es lehren."
Warum Vibrato?
Damit man „mit dem Instrumente, so viel es immer möglich ist, die Singkunst nachahme.“ und „die Singmusik allezeit das Augenwerk aller Instrumentisten seyn soll: weil man sich in allen Stücken dem Natürlichen, so viel es immer möglich ist, nähern muß.“ Mit dem „Natürlichen“ ist wiederum die Singstimme gemeint. „Der Klang der Instrumente und die Art, auf ihnen zu spielen, wird am Klang der menschlichen Stimme gemessen.“ Aus diesem Grundsatz heraus entwickelten sich auch die Instrumente in „Chören“, wie bei den Gesangsstimmen. Dass das Vibrato aber natürlicher Bestandteil der Gesangsstimme ist, belegt nicht nur Michael Praetorius, der sich Giulio Caccini zum Vorbild nahm. Er erwartete vom Sänger, „daß er vor allem eine schöne, liebliche, zitternde und bebende Stimme habe.“ Der Caccini-Triller „besteht aus einer sich beschleunigenden Aufeinanderfolge von Tönen der gleichen Tonhöhe. Dieser Art des Trillers stellt ein stilisiertes Vibrato dar.“ So ist es auch nicht verwunderlich, dass uns Daniel Friderici, Johann Andreas Herbst unter der ausdrücklichen Überschrift „Natura“ und Johann Crüger wenig später beschreiben, dass sie für ihre Knabenchöre Stimmen suchen, „die mit einer sonderbaren lieblichen schwebenden oder bebenden Stimm ... begabet seyn“ , also nach unserem heutigen Begriff „vibrieren“ und er bestätigt, dass dies auch auf den Violinen praktiziert werden sollte. Daniel Speer findet 1697 ebenfalls, dass das Vibrato zum Singen gehört. Johann Samuel Beyer bestätigt das Vibrato ebenfalls „zu Nutz der studierenden Jugend auf dem Gymnasium“ 1703 und Johann Georg Sulzer ist der gleichen Meinung: „Die menschliche Stimme hat den Vorzug, den sie so offenbar vor allen anderen Instrumenten hat, größtenteils den sanften Bebungen zu danken, die sie allen anhaltenden Tönen gibt. Es ist ein wesentliches Stück des guten Singens und Spielens, dass man lerne jeden Ton mit solcher Bebung aushalten. Im Singen ist es am leichtesten, weil die Natur selbst die Werkzeuge der Stimme so gebildet hat, dass sie bei keinem anhaltenden Ton in derselben steifen Spannung bleiben. Auf Instrumenten aber erfordert die Bebung weit mehr Kunst. Am leichtesten scheint sie auf der Violin durch das schnelle hin und her wälzen des die Saite niederdrückenden Fingers erhalten zu werden.“ Dieser Anspruch des natürlichen Vibratos bei Knabenstimmen ist selbstverständlich auf die Männerstimmen und Frauenstimmen zu übertragen. Die Akzeptanz oder Voraussetzung eines natürlichen Vibratos, welches im Allgemeinen nicht gelehrt wurde, erfolgte aber eben in den Chorschulen und hat sich in diesem Sinne bis in die 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, wie alle Tondokumente beweisen, erhalten. Danach begann der Chorklang der Mehrzahl der Knabenchöre (Ausnahmen dürften heute nur noch der Tölzer und der Dortmunder Knabenchor sein) sich zum non-vibrato-Singen zu entwickeln, dies wurde dann in einigen Chören auch ausdrücklich unterrichtet. Diese Entwicklung ging mit der stets früheren Mutation der Knabenstimmen einher, die nach 60 Jahren dieser Entwicklung rund zwei Jahre früher liegt. Damit ist auch das Eintrittsalter bei Knabenchören, die vor zweihundert Jahren noch jede Kirche in Europa hatte, um etwa zwei Jahre herabgesetzt worden, was auch das Klangbild grundsätzlich veränderte.
Auch Marin Mersenne, Marin Marais und Jean Rousseau in Frankreich und John Playford so wie Christopher Simpson und Thomas Mace in England beschreiben das Vibrato. Jean Baptiste Bérard erklärt in seiner L‘art du chant das Vibrato der Sänger in seinen Varianten und der für das 18. Jahrhundert prägende Musiktheoretiker Friedrich Wilhelm Marpurg erläutert in seinem unveröffentlichtem Manuskript zur Abhandlung von den Manieren Grundsätzliches über die „Die Schwebung oder Bebung“. Für Ihn steht das Vibrato an erster Stelle der Verzierungen. Er bestätigt noch einmal, dass Streichinstrumente und Clavicorde das Vibrato der Gesangsstimme nachahmen. Ebenso Johann Adam Hiller in seiner Anweisung zum musikalisch-zierlichen Gesänge. Für die Flöte und Oboe lässt sich das Vibrato auch relativ früh nachweisen: Jacques-Martin Hotteterre und Johann Joachim Quantz legen in ihren Schulen ausführlich dar, wie auf den Flöten ein Vibrato hervorzubringen ist. Selbst auf der Trompete wurde das Vibrato gelehrt. Wolfgang Amadeus Mozart fasst schließlich zusammen, dass es zur Natur der Stimme gehört, zu vibrieren und das es deswegen alle Instrumente nachahmen: „..die Menschenstimme zittert schon selbst - aber so - in einem solchen grade, daß es schön ist - daß ist die Natur der stimme. Man macht ihrs auch nicht allein auf den blas=instrumenten, sondern auch auf den geigen instrumenten nach - ja so gar auf den Claviern-.“ Letzteres haben sich sogar die Orgelbauer seit dem 16. Jahrhundert zu Herzen genommen und den Tremulanten eingebaut, der das Vibrato der Stimme nachahmen soll. Johann Sebastian Bach legte in seinen Orgelgutachten großen Wert auf die Tremulanten und forderte ausdrücklich die der Stimme entsprechenden Frequenz. Dies zeigt auch, dass Bach mit Vibrato gerechnet hat. Schwebungsregister der Orgel, die sogar den Namen Vox humana tragen, erreichen einen ähnlichen Effekt. Im 19. Jahrhundert wurde dieser Effekt auch auf Harmonika-Instrumente übertragen. Pierre Baillot bestätigt 1834 noch einmal ausdrücklich das Vibrato als Nachahmung der Singstimme um gleichzeitig vor einem übermäßigen Gebrauch zu warnen. Von einem grundsätzlichen non vibrato kann also in keinem Falle die Rede sein, denn selbst die Gitarren- und Lauten-Literatur des 17. Jahrhunderts kennt schon eigene Verzierungs-Zeichen für Vibrato um dem Gesangideal und rhetorischen Grundsätzen, betonte Noten durch Vibrato deutlich zu machen, näher zu kommen.
Wieviel Vibrato?
Hier gehen die Meinungen schon deutlicher auseinander. Übrigens nicht nur zu Heinrich Schütz‘ oder W.A. Mozarts Zeit. Wenn man einmal die Aufnahmen aus der ersten Häfte des 20. Jahrhunderts der Wiener und Berliner Philharmoniker oder gar französischer Orchester, die in Vibratofragen bereits viel weiter entwickelt waren, vergleicht, dann wird deutlich, dass es bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts sehr unterschiedliche regionale Aufführungsstile - auch in Fragen des Vibrato-Gebrauchs - herrschten. Es gibt Orchester, wo neben den Streichern nicht nur die Holzbläser vibrieren (größtenteils aber nicht die Klarinetten) sondern selbst die Hörner gelegentlich vibrieren und auch bei den Trompeten ist es wie bei Flöte und Oboe durchaus schon im 17. Jahrhundert nachweisbar und im 18. Jahrhundert Lehrstoff für dieses Instrument. Letzteres ist zur Zeit kein Standard in den Orchestern. Komponisten standen dem Vibrato unterschiedlich gegenüber. Schönberg und Stravinsky haben sich dem Dauervibrato sehr ablehnend gegenüber geäußert. Auf der anderen Seite wird bei den von Stravinsky dirigierten Einspielungen durchaus heftig Vibrato gebraucht, sodass die Berufung auf das non vibrato bei Stravinsky ein nichtiges Argument ist. Heute bemühen wir uns (leider) um einen internationalen Einheitsklang der klassischen Musik. Auch hervorgerufen sowohl durch unüberlegtes Dauervibrato als auch bei anderen Orchestern durch ein permanentes non-vibrato.
Aus Leopold Mozarts Violinschule können wir nach seinem Geschmack folgende Kriterien feststellen: Das damals bekannte Dauervibrato entspricht nicht seinem Aufführungsideal und auch hier folgt er Giuseppe Tartini. Er plädiert für ein sehr variables Vibrato und nennt dazu drei verschiedene Arten des Vibratos. Dagegen plädierte Francesco Geminiani für eine „so oft wie möglich“-Anwendung des Vibratos. Erwähnt sei hier auch die Form des mit dem Bogen hervorgebrachten „Bogenvibratos“, welches durch Druckunterschiede des Bogens bei gleichzeitiger permanenter Streichbewegung hervorgerufen wird, also keine Tonhöhenunterschiede kennt. Die Notation sind gleiche Noten mit Punkten unter einem Bogen oder auch - wie bei J.J. Quantz angegeben und auch noch bei Richard Wagner und Giacomo Meyerbeer gebraucht - die weichere Form der nicht angestoßenen Tonwiederholung. Eine weitere Art der Ausführung des Vibrato durch den Gebrauch von zwei Saiten, beschreibt ausführlich Luis Alonso. Natürlich muss man sich auch bewusst machen, dass auf Grund der fehlenden Kinnstütze bei den Geigen und Bratschen das heute mögliche (linke) Armvibrato nicht möglich war. Das sollte man dann auch bei der Musik bis zur Zeit der Erfindung des Kinnhalters nicht einsetzen. Mattheson spricht deswegen in seinem Buch Der vollkommene Kapellmeister von der „blosse(n) Lenkung der Fingerspitzen“. Für die Sänger gibt er es als durch den Atem gesteuert an.
Wann und wo Vibrato?
Es gab offensichtlich Entwicklungen bei der Menge des angewandten Vibratos in Wellenbewegungen. Leopold Mozart hat aus seiner Sicht sehr klare Antworten:
Vibrato wurde bei langen Noten und Schlussnoten angebracht. Nach seiner Meinung gibt es Momente, die das Vibrato sogar automatisch verlangen und er gibt auch ausführlich Beispiele von punktierten Vierteln, die mit Vibrato versehen werden sollen. Gekrönt werden seine Anweisungen sogar mit dem Hinweis, das auch Doppelgriffe mit Vibrato gespielt werden können und wie man Kadenzen - neben den Verzierungen - mit einem variablen Vibrato, kombiniert mit unterschiedlichen Strichgeschwindigkeiten ausführen soll. Dagegen beschreibt Francesco Geminiani 1751 ausdrücklich auch Vibrato für kurze Noten. Er meint, dass Vibrato nicht (wie bei Leopold Mozart) ein Ornament ist, sondern permanenter Bestandteil des Geigenspiels. Er beschreibt ausführlich, welche Arten von Vibrato für die verschiedenen Affekte der Musik angewandt werden sollen. Gab es also im 17. und 18. Jahrhundert zumindest einige allgemein in ganz Europa anerkannte Regeln für die Anwendung des Vibratos bei langen und betonten Tönen sowie bei Kadenzen als Minimalvariante, wurde im 19. Jahrhundert immer mehr angegeben, wo nicht vibriert werden sollte.
Das heutige vielfach permanent gehandhabte non vibrato in der „historischen Aufführungspraxis“ ist also eine Nachlässigkeit und Bequemlichkeit, sich wirklich mit der Aufführungspraxis auseinanderzusetzen und mit den Ensembles und Solisten ein entsprechendes Konzept für die Verwendung des Vibratos auf der Grundlage verschiedener Epochen und regionaler Stile auszuarbeiten. Es ist natürlich einfacher zu Probenbeginn anzukündigen: non vibrato. Aus dieser Haltung erklärt sich auch folgende Feststellung von Roger Norrington über das Vibrato: „Sie meinen das Vibrato. Wir lassen es weg, das ist unser Markenzeichen. Aber dies entspricht der Spielweise zu Lebzeiten von Brahms und klingt außerdem besser. “
Roger Norrington als einer der vielen Vertreter des sempre non vibrato im Orchester und bei Chören behauptet : „Mahler war für den Fortschritt, aber auch der hat nie ein Orchester mit Vibrato gehört. Das Vibrato war eine Sache der Caféhausmusik.“
Dazu wäre zu sagen, dass Roger Norrington vermutlich nie die frühen Aufnahmen des Concertgebouw-Orchesters unter Willem Mengelberg gehört hat. Aufnahmen, die nicht lange nach Mahlers Tod aufgenommen wurden, mit einem Orchester, welches Mahler selbst oft dirigiert und gehört hat und welches er für seine „musikalische Heimat“ hielt und welches für ihn immer das Ideal des Orchesterspiels war. Es dürfte unwahrscheinlich sein, dass sich das Klangbild des Orchesters unter dem gleichen Chefdirigenten innerhalb kurzer Zeit in Fragen des Vibratos (und des auffallenden portamentos) vollständig geändert hat. Auf diesen Aufnahmen ist deutlich mehr, fast durchgehendes Vibrato zu hören, als bei Aufnahmen der Wiener Philharmoniker zur gleichen Zeit. Vom Konzertmeister der Wiener Philharmoniker, Freund und Schwager Gustav Mahlers Arnold Rosé ist bekannt, dass er das Vibrato sparsam einsetzte. Im dem Probespielbericht von Otto Strasser vom 8. November 1922 ist aber deutlich gesagt, dass das Vibrato im Orchester bereits eine „längst übliche“ Praxis war. Und wenn Norrington meint, das Vibrato sei eine Sache der „Caféhausmusik“ hat er wahrscheinlich übersehen, das Mahler in zahlreichen Werken genau den Caféhaus-Stil bewusst in sein Werk aufgenommen hat.
Norrington sagt auch an gleicher Stelle: „Es gibt genügend fundierte Erkenntnisse darüber, dass es zu Zeiten von Brahms kein Vibrato in den Orchestern gab. “ Zunächst übersieht Norrington, dass es - wie oben gesagt - regional sehr unterschiedlichen Arten des Orchesterspiels gab. Eine pauschale Feststellung also nicht zutreffend sein kann. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass er sich auf Brahms‘ Freund Joseph Joachim bezieht, der in seiner Zeit ein Verfechter des sparsamen Vibratos war. Das immer wieder (ohne Quelle) zitierte „non-vibrato-Spiel“ von Joachim gehört aber in das Reich der Fabel. Glücklicherweise gibt es einige Aufnahmen mit Joseph Joachim, wo man deutlich hören kann, dass Joachim sparsam aber konsequent - sogar bei Bach - vibriert. Noch eindeutiger sind Joachims Bearbeitungen der Ungarischen Tänze von Johannes Brahms, wo er das Vibrato sogar notiert. Bei der Gewichtung von Joseph Joachim muss man sich außerdem auch deutlich machen, „dass er je nach musikalischer Parteizugehörigkeit grenzenlos verehrt oder wie ein mit dem Anspruch der Unfehlbarkeit auftretender Papst bekämpft wurde.“ Neben Joseph Joachim versuchten auch andere Lehrer, dem in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts praktizierten starken Gebrauch des Vibratos entgegen zu wirken und (wieder) einen differenzierten Vibrato-Gebrauch durchzusetzen. Dazu gehörte auch der Joachim nachfolgende Andreas Moser, der in seiner Violinschule genaue Anweisungen des Vibratos bei Werken von Joseph Joachim gibt. Es entstand eine Art Wellenbewegung in der Menge des Vibrato-Gebrauchs. Hat noch Giovanni Battista Viotti 1799 Kritik für sein offensichtliches Dauervibrato mit schneller Frequenz bekommen, setzt sich Bernhard Romberg in einer der wichtigsten Cello-Schulwerke sich für den vermehrten Gebrauch des Vibratos als Solist am Ende des 18. Jahrhunderts ein. Dagegen bezeichnet Justus Johann Friedrich Dotzauer wenig später den zu häufigen Gebrauch als „altmodisch“. Ein schönes Beispiel aus Joachims Zeit ist die konträre Auffassung bei Sarasates Interpretation seiner eigenen Moramar, Op. 42 zu hören, mit der er zeigt, dass in seiner zeitgenössischen Musik durchaus reichlich Vibrato verwendet werden sollte. Auch andere Virtuosen und Lehrer dieser Zeit wie Pablo Sarasate, Carl Flesch und Fritz Kreisler vertraten vehement einen reichlichen bis permanenten Vibrato-Gebrauch. Ein anonymer englischer Autor veröffentlicht etwa 1880 eine Zusammenfassung des Problems: „Meistere das Vibrato, aber lass Dich nicht vom Vibrato meistern.“ Schließlich widerspricht die Anweisung für eine Stelle in Brahms‘ 3. Sinfonie von Fritz Steinbach, der gemeinsam mit Brahms selbst die Sinfonien in Meiningen erarbeitete, komplett der Feststellung Norringtons: „Damit der Ausdruck etwas Eisiges oder Silbernes bekommt, ist jedes Vibrato der Streicher zu unterlassen“. Dies beweist im Umkehrschluss, dass Brahms sonst mit Vibrato rechnete, ebenso, wie er immer auf ein großes Orchester hoffte. Die heutige als „authentisch“ bezeichnete Reduzierung der Streicher bei Werken von Johannes Brahms auf die damalige Meininger Größe steht Brahms‘ Klangvorstellung diametral gegenüber.
Die generelle Frage des Vibratos im Orchesterspiel beantwortet der berühmte Konzertmeister der Sächsischen Hofkapelle (zu Zeiten von Johann Adolf Hasse) Johann Georg Pisendel einfach und eindeutig für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts: Der Tuttist darf nicht mehr verzieren, als der Konzertmeister. Da Vibrato in die Kategorie der Verzierungen fiel, die ja auch im Orchester üblich waren hat der Orchestertuttist sich also nach dem Stimmführer zu richten, wann, wo und wieviel und welche Art des Vibratos angebracht wird. Georg Simon Löhlein bestätigt dies ebenfalls in seiner für Tuttisten gedachten Violinschule. Bei den Wiener Philharmonikern wurde 1896 geregelt, dass der Dirigent das Vibrato festlegt.
Komponisten wie Christoph Willibald Gluck geben umfangreiche Vibrato-Anweisungen. In seiner Pariser Fassung von Alceste gibt es z.B. ausführlichste Anweisungen mit mehreren hundert Zeichen, die auch Rückschlüsse auf die französische Vibrato-Technik zulassen. Interessant ist, dass Gluck an einer Stelle über das damals übliche Vibrato-Zeichen noch einmal die Bezeichnung „tremoto“ (Erdbeben) hinzufügte, was eine Art vibriertes Tremolo nach unser heutigen Definition sein sollte. Selbstverständlich muss man auch hier beachten, dass diese Vibrato-Anweisungen für die Stellen im gleichen Affekt auch ergänzt werden müssen. Also noch um ein Vieles mehr sind, als die Notation vorgibt, wie das auch für andere Arten der Verzierungen und Spielanweisungen in dieser Zeit gilt. Interessant ist auch, dass das Vibrato-Zeichen fast nur auf kürzeren Noten steht, da es nach den damaligen Regeln auf langen Noten ohnehin angewandt wurde. Dies erklärt sich besonders an Stellen, wo kurze Noten mit Vibrato-Zeichen über langen Noten ohne Vibrato-Zeichen stehen. Es würde den damaligen Regeln widersprechen, wenn nur die kurzen Noten vibriert werden sollten. Um ein anderes Beispiel zu nennen: Richard Wagner gibt ausdrückliche Vibrato-Anweisungen, bzw. non-vibrato-Anweisungen für Orchester, die den Umkehrschluss zulassen, dass das Vibrato durchaus sowohl zu Glucks als auch zu Wagners Zeit üblich war. Überdies bestand zu Wagners Zeit ein großer Teil des Bayreuther Orchesters aus Mitgliedern der Meininger Hofkapelle, für die ein weitgehend permanentes Vibrato zumindest für die Streicher als gesichert gilt.
Fazit für die heutige Aufführungspraxis
- Ein permanentes non-vibrato-spielen oder singen von Orchestern, Solisten und als „Chorstil“, wie er heute von der „historischen Aufführungspraxis“ weitgehend betrieben wird, ist historisch gesehen einfach falsch. Es würde der Grundforderung nach Anwendung der „Manieren“ des 16. bis 18. Jahrhunderts vollständig widersprechen, wie es beispielsweise C.Ph.E. Bach formuliert hat: Die Manieren „hängen die Noten zusammen; sie beleben sie, sie geben ihnen ... einen besonderen Nachdruck und Gewicht; sie machen sie gefällig und erwecken folglich eine besondere Aufmercksamkeit; sie helffen ihren Inhalt erklären ... der beste Gesang (ist) ohne sie leer und einfältig, und der ... Inhalt ... allezeit undeutlich erscheinen muß.“ Mit der Weiterentwicklung des sempre vibrato im 19. und 20. Jahrhunderts sind diese Grundlagen weiterhin wichtig.
- Die Grundregeln, wo und welches Vibrato angebracht werden soll, sind durch die Quellen eindeutig belegt. Es gab bereits spätestens ab dem 16. Jahrhundert sehr differenzierte Arten des Vibrato. Regional und in verschiedenen Epochen ist die Menge des Vibratos unterschiedlich gewesen. Auch auf welchen Instrumenten es anzuwenden ist. Oben ist dazu alles Wesentliche gesagt und die entscheidenden Dokumente sind im Anhang beigefügt.
- Aus der Erfahrung des Autors als Dirigent sowohl barocker und frühklassischer Musik, wo ein Armvibrato bei den Streichern ausgeschlossen ist, können folgende Empfehlungen gegeben werden: In Zeiten, wo ausschließlich zeitgenössische Musik gespielt wurde, war regional begrenzt eine bestimmte Anwendung des Vibratos selbstverständlich und wurde vom Konzertmeister und Stimmführer des Chores vorgegeben. Dies ist in der heutigen Konzertpraxis mit wenig Probenzeit und extrem unterschiedlichen stilistischen Anforderungen nicht mehr realistisch. Deswegen können die Vibrato-Frage, wie auch andere kollektive Verzierungen nur durch den Dirigenten im Vorhinein geklärt werden. Dies sollte zur leichten Verständlichkeit für jeden Klangkörper sozusagen auf dem im 19. Jahrhundert aufkommenden Brauch aufbauen, wo die Stellen angegeben wurden und werden, wo nicht vibriert werden soll. Also mit senza vibrato (s.v.) oder con vibrato (c.v.). Die außerordentlich verfeinerte Vibrato-Technik des 16. - 18. Jahrhunderts kann in den Materialien mit den Vorgang bildhaft beschreibenden Zeichen eingetragen werden. Beispielsweise mit folgendem Zeichen für einen Ton non vibrato
beginnend, dann langsames und sich beschleunigendes Vibrato:
Oder mit An- und Abschwellung:
Oder mit Akzent:
Mit dieser oder ähnlicher Zeichengebung lassen sich abgewandelt alle Varianten des Finger und Vokal-Vibratos bezeichnen. Für das Bogenvibrato kann die historische Bezeichnung eingesetzt werden und für das Vibrato auf zwei Saiten mit Fingersatz oder Doppelnote. Das setzt voraus, dass der Dirigent die stilistische Kenntnis hat und vor Probenbeginn im Material die Anweisungen einzeichnet. Der Autor hat damit viele Jahre sowohl mit Vokal- als auch Instrumental-Ensembles und Sinfonieorchestern gute Erfahrung gemacht.
In der Musik des 19. und 20. Jahrhunderts bildeten sich in den komplexer werdenden Partituren Anweisungen wie „ausdrucksvoll“ bei Richard Wagner, „espressivo“ bei Richard Strauss oder „Hauptstimme“ bei Alban Berg heraus. Schon Louis Spohr empfahl, die thematisch wichtigen Stimmen im Ensemble-Spiel mit Vibrato führen zu lassen und die unwichtigen non vibrato spielen zu lassen. Diese Praxis dürfte ein wesentlicher Anhaltspunkt bei der Gestaltung von Partituren mit einem differenzierten Einsatz des Vibrato sein.
Um noch einmal Robert Schumanns Musikalische Haus und Lebensregeln zu zitieren:
„ Es ist des Lernens kein Ende.“
Relevante Auszüge aus den theoretischen Werken des 17. und 18. Jahrhunderts
Daniel Friderici: Musica figuralis oder Newe Unterweisung der Singe Kunst, Rostock 1638
Caput VII. Regula 2. S. 49
„Die Knaben sollen vom anfange alßbald gewehnet werden/ die Stimmen fein natürlich/ und wo möglich fein zitternd/schwebend oder bebend/ in gutture, in der Kehle oder im Halse zu formiren.“
Regula 17. S. 47
„Im singen sol der Tact durchaus nit gehöret/sondern allein gesehen/oder wo es möglich/nur observiret und gemercket werden.“
Regula 18. S. 49
„Im singen sol durchaus nicht einerley tact gespüret werden: Sondern nachdem die Worte des Textus seyn/ also muß auch der tact gerichtet seyn.“
Johann Andreas Herbst: Musica Moderna Prattica, ouero Maniera del Buon Canto, Frankfurt/Main 1658
S. 2, I, Natura
„Daß ein Sänger erstlich eine schöne liebliche/zitternde und bebende Stimme (doch nicht also/wie etliche ex ignorantia in den Schulen gewohnet seyn/ sondern mit besonderer moderation) und einem glatten runden Halß zu diminiuiren habe: zu andern/ einen steten langen Athmen/ohn viel respiriren/ halten könne: zum dritten/auch eine Stimme/ als: Cantum, Altum oder Tenor, &c. erwehlen/welche er mit vollem und hellem Laut/ohn Falseten (das ist/ halber und erzwungener Stimme) halten könne.“
Johann Crüger: Musica practicae praecepta brevia. Der rechte Weg zur Singekunst, Berlin 1660
S. 19, Caput VI
„Sintemal diejenigen gar nicht zu loben/welche von Gott und der Natur mit einer sonderbaren lieblichen schwebenden oder bebenden Stimm/ auch einem runden Hals und Gurgel zum diminuiren begabet syn/sich aber an der Musicorum leges nicht binden lassen/sondern nur fort und fort mit ihrem allzuviel coloriren die im Gesang fürgeschriebene limites überschreiten/ und denselben dermassen damit verderben und verdunkeln/ daß man nicht weiß/ was sie singen...“
„... Zu solcher bösen verdrießlichen Art gewehnen sich auch viel Musici Instrumentales sonderlich auf Cornetten und Violinen, da es doch viel zierlicher/ und den Zuhörern weit angenehmer würde sey/ wann sie sich eines steten außgedehnten langen Strichs mit feinen Tremoletten auf Violinen beflissen und gebrauchten.“
Caput VI (als Druckfehler steht IV, HH) S. 25
„Tremulus“
Tremolo ist das Zittern der Stimm über einer Nota in zweyen nechsten Clavibus. Die Instrumentales Musici nennen es Mordanten. Ist mehr auf Orgeln und Instrumenta penna, als auf Menschen-Stimmen gerichtet.“
S. 27 „Trillo.“
„Trillo (heißt ein liebliches Saussen) ist zweyerly: Der eine geschieht in Unisono in einem Clave, wenn viel geschwinde Noten nach einander repetiert werden:
Der ander Trillo ist unterschiedlicher Arten. Und ob zwar einen Trillo recht zu formiren unmüglich ist außm fürgeschriebenen zu lernen/ wo es nicht vivâ Præceptoris voce&ope geschehe/und einem fürgesungen und fürgemachet wird/damit es einer vom andern observiren lerne/habe ich doch etliche arten hierbey zu setzen nötig erachtet...“
Carl Philipp Emanuel Bach: Versuch über die wahre Art, das Clavier zu spielen, Erster Teil, Berlin 1753
S. 51 §. 1. Es hat wohl niemand an der Nothwendigkeit der Manieren gezweifelt.
S. 59ff §. 25. Da man bey unserm heutigen Geschmacke, wozu die italiänische gute Sing=Art ein ansehnliches mit beygetragen hat, nicht mit den französischen Manieren allein auskommen kan; so habe ich die Manieren von mehr als einer Nation zusammen tragen müssen.
S. 119 §. 7. Wegen Mangel des langen Tonhaltens und des vollkommnen Ab= und Zunehmen des Tons, welches man nicht unrecht durch Schatten und Licht mahlerisch ausdrückt, ist es keine geringe Aufgabe, auf unserm Instrumente ein Adagio singend zu spielen...
S. 126 §. 19. Die bey Fig. IV. befindlichen Noten werden gezogen und jede kriegt zugleich einen mercklichen Druck.
Fig. IV: siehe pdf
S. 126 §. 20. Eine lange und affecktuöse Note verträgt eine Bebung, indem man mit dem auf der Taste liegen bleibenden Finger solche gleichsam wiegt; das Zeichen darvon sehen wir bey Fig. IV.(a).
[Zusatz der Ausgabe 1787:] Der Anfang einer Bebung wird am besten in der Mitte der Geltung der Note gemacht.
Friedrich Wilhelm Marpurg: Abhandlung von den Manieren, Manuskript, 1754, Ms. in DSTB, Mus.ms.theor. 553, Erstveröffentlichung mit Dank für die Hilfe bei der Entzifferung an Josef Eisinger, Eckart und Thomas Haenchen. Er nennt das Vibrato als erste, somit auch wichtigste Verzierung:
siehe pdf
[Abhandlung von Manieren 7.]
die gewöhnlichsten sind.
1) Die Schwebung oder Bebung, franz. balancement, ital. tremolo, und verminderungsweise tremoletto.
Es ist dieselbe nichts anderes als eine vermittels des Athems abwechselnde Bewegung der Stimme auf einem gewißen Thon. Durch diese Bewegung entstehet entweder nur eine bloße Veränderung in der Größe des Thons, in Ansehung seines Einklanges; oder es enstehen auf gleicher Zeit einige Veränderungen in der Stärke und Schwäche dieses vestgestellten Thones. Die in der Größe des Thones entstehende Veränderung ist keinen Graden unterworfen. Die Stärke desselben aber kann auf dreyerley Art betrachtet werden.
In Ansehung der Dehnung des Klanges welches die Italiäner maniera di stendento, nennen, wenn sich die Stimme nach der Schwäche mit einer gewißen Stärke erhebet.
In Ansehung der Zusammenziehung des Klanges, welches die Italiäner maniera restringente nennen, wenn sich die Stimme gleichsam verlieret und schwächer wird,
[8. Abhandlung von Manieren]
In Ansehung der Mäßigung des Klanges welches die Italiener maniera quieta nennen, wenn die Stimme in ihrer natürlichen Stärke singet.
Es werden aber diese beyden Hauptveränderungen der Größe und Stärke nicht allezeit zu gleicher Zeit bey der Schwebung angebracht. Der aushaltende Thon in der Schwebung heißt auf ital. tenuta, fr. tenue.
Übrigens findet diese Manier nur eigentlich bei der Stimme statt. Die wird aber auf besaiteten Instrumenten, die mit dem Bogen gespielet werden, auf dem Claviere, und einigen anderen, gewißermaßen nachgeahmet. In Ansehung der ungleichen Größe des Thones hat die Schwebung gar viele Aehnlichkeit mit dem Orgeltremblanten. Die Art, wie man die Schwebung in der Ausführung ausdrücket muß durch die Erfahrung gelernet werden. Der Ort, wo sie gebraucht werden soll, wird von vielen in der Vocalmusik mit trm. bezeichnet.
Diese Tremolo muß endlich mit dem Trillo, wovon bald Nachricht erfolgen wird, nicht verwechselt werden.
Leopold Mozart: Versuch einer gründlichen Violinschule, 1756, 3. Auflage Augsburg 1787 (und in 1800 weiteren Auflagen verlegt)
§. 14. S. 108
Zur Gleichheit und Reinigkeit des Tones trägt auch nicht wenig bey, wenn man vieles in einem Bogenstriche weis anzubringen. Ja es läuft wider das Natürliche, wenn man immer absetzet und ändert. Ein Singer der bey ieder kleinen Figur absetzen, Athem holen, und bald diese bald jene Note besonder vortragen wollte, würde unfehlbar jedermann zum Lachen bewegen. Die menschliche Stimme ziehet sich ganz ungezwungen von einem Tone in den andern: und ein vernünftiger Singer wird niemal einen Absatz machen, wenn es nicht eine besondere Ausdrückung, oder die Abschnitte und Einschnitte erfordern.
Und wer weis denn nicht, daß die Singmusik allezeit das Augenwerk aller Instrumentisten seyn soll: weil man sich in allen Stücken dem Natürlichen, so viel es
immer möglich ist, nähern muß? Man bemühe sich also, wo das Singbare des Stückes keinen Absatz erfordert, nicht nur bey der Abänderung des Striches den Bogen auf der Violin zu lassen und folglich einen Strich mit dem andern wohl zu verbinden; sondern auch viele Noten in einem Bogenstriche und zwar so vorzutragen: daß die zusammen gehörigen Noten wohl aneinander gehänget, und nur durch das forte und piano von einander in etwas unterschieden werden.
Das eilfte Hauptstück. S. 238
Von dem Tremulo, Mordente und einigen andern willkührlichen Auszierungen.
§. 1.
Der Tremulo ist eine Auszierung die aus der Natur selbst entspringet, und die nicht nur von guten Instrumentisten, sondern auch von geschickten Sängern bey einer langen Note zierlich kann angebracht werden. Die Natur selbst ist die Lehrmeisterin hiervon. Denn wenn wir eine schlaffe Seyte oder eine Glocke stark anschlagen; so hören wir nach dem
Schlage eine gewisse wellenweise Schwebung (ondeggiamento) des angeschlagenen Tones: Und diesen zitterenden Nachklang nennet man Tremulo, oder auch den Tremulanten.
§. 2.
Man bemühet sich diese natürliche Erzitterung auf den Geiginstrumenten nachzuahmen, wenn man den Finger auf eine Seyte stark niederdrücket, und mit der ganzen Hand eine kleine Bewegung machet; die aber nicht nach der Seite sondern vorwärts gegen den Sattel und zurück nach dem Schnecken gehen muß: wovon schon im fünften Hauptstücke einige Meldung geschehen ist. Denn gleichwie der zurück bleibende zitterende Klang einer angeschlagenen Seyte oder Glocke nicht rein in einem Tone fortklinget; sondern bald zu hoch bald zu tief schwebet: eben also muß man durch die Bewegung der Hand vorwärts und rückwärts diese zwischentönige Schwebung genau nachzuahmen sich befleissigen.
§. 3. S. 239
Weil nun der Tremulo nicht rein in einem Tone, sondern schwebend klinget; so würde man eben darum fehlen, wenn man iede Note mit dem Tremulo abspielen wollte. Es giebt schon solche Spieler, die bey ieder Note beständig zittern, als wenn sie das immerwährende Fieber hätten. Man muß den Tremulo nur an solchen Orten anbringen, wo ihn die Natur selbst hervor bringen würde: wenn nämlich die gegriffene Note der Anschlag einer leeren Seyte wäre. Denn bey dem Schlusse eines Stückes, oder auch sonst bey dem Ende einer Passage, die mit einer langen Note schliesset, würde die letzte Note unfehlbar, wenn sie auf einem Flügel Z.E. angeschlagen würde, eine gute Zeit nachsummen. Man kann also eine Schlußnote, oder auch eine iede andere lang aushaltende Note mit dem Tremulo auszieren.
§. 4.
Es giebt aber einen langsamen, einen anwachsenden, und einen geschwinden Tremulo. Man kann sie zur Unterscheidung etwa also anzeigen.
Der langsame. siehe pdf
Der anwachsende. siehe pdf
Der geschwinde. siehe pdf
Die grösseren Striche mögen Achttheile, die kleinern hingegen Sechzehentheile vorstellen: und so viel Striche sind, so oft muß man die Hand bewegen.
§. 5. S. 240
Man muß aber die Bewegung mit einem starken Nachdrucke des Fingers machen, und diesen Nachdruck allemal bey der ersten Note iedes Viertheils; in der geschwinden Bewegung aber auf der ersten Note eines jeden halben Viertheils anbringen. Zum Beyspiele will ich hier einige Noten setzen, die man sehr gut mit dem Tremulo abspielet; ja die eigentlich diese Bewegung verlangen. Man muß sie in der ganzen Applicatur abgeigen.
So muß man den Tremulo ausdrücken. siehe pdf
So macht man die Bewegung. siehe pdf
In den zweyen Beyspielen N. 1. fällt die Stärke der Bewegung allemal auf die mit der Zahl (2) bemerkte Note: weil sie die erste Note des ganzen oder halben Viertheils ist. In dem Beyspiele N. 2. hingegen trift die Stärke aus eben der Ursache auf die mit der Zahl (1) bezeichnete Note. (Beispiel siehe pdf)
§. 6. S. 241
Man kann den Tremulo auch auf zwoen Seyten und also mit zweenen Fingern zugleich machen. (Beispiel siehe pdf)
Die Stärke der Bewegung fällt auf die erste Note. (Beispiel siehe pdf)
Die Stärke fällt auf die zwote Note. (Beispiel siehe pdf)
§. 7. S. 242
Bevor man eine Cadenze anfängt, die man beym Schlusse eines Solo nach eigener Erfindung dazu machet, pflegt man allemal eine lange Note entweder im Haupttone oder in der Quinte auszuhalten. Bey solcher langen Aushaltung kann man allezeit einen anwachsenden Tremulo anbringen. Z.E. Man kann bey dem Schlusse eines Adagio also spielen. (Beispiel siehe pdf)
Man muß aber den Strich mit der Schwäche anfangen, gegen der Mitte zu wachsen, so: daß die größte Stärke auf den Anfang der geschwindern Bewegung fällt; und endlich muß man wieder mit der Schwäche den Strich enden.
§. 16. S. 245 - 246
Das Batement (Batement) ist ein Zusammenschlag zweener nächsten halben Töne, welcher Zusammenschlag von dem untern halben Tone gegen den obern in gröster Geschwindigkeit etlichmal nacheinander wiederholet wird. Das Batement oder dieser Zusammenschlag muß weder mit dem Tremulo, noch mit dem Triller, noch mit dem aus der Hauptnote herfliessenden Mordente vermischet werden. Dem Tremulo sieht der Zusammenschlag in etwas gleich: allein dieser ist viel geschwinder, wird mit zweenen Fingern gemacht, und übersteiget den Hauptton oder die Hauptnote nicht; da hingegen die Schwebung des Tremulo auch über den Haupttone fortschreitet. Der Triller kömmt von oben auf die Hauptnote: der Zusammenschlag aber von unten, und zwar allemal nur aus dem Halbentone. Und der Mordente schlägt im Haupttone an: das Batement hergegen fängt sich im tiefern nächsten Semitone an. Dieser Zusammenschlag sieht also aus. (Beispiel siehe pdf)
Man braucht dieses Batement in lustigen Stücken anstatt der Vorschläge und Mordenten, um gewisse sonst leere Noten mit mehr Geist, und recht lebhaft vorzutragen. Das beygebrachte Beyspiel mag hiervon ein Zeuge seyn. Man muß das Batement aber nicht zu oft, ja gar selten, und nur zur Veränderung anbringen.
Register S. 265
Tremolo. dessen Ursprung, und wie er gemacht wird.
XI. 1. 2. 3. ist dreyfach. XI. 4. fernere Erklärung
desselben. X. 5. auf 2. Seyten. XI. 6. wird meistens
bey Cadenzen gebraucht. XI. 7.
Musikalische Kunstwörter S. 50
Cantabile:
Cantabile, Singbar. (Cantabile.) Das ist: Man solle sich eines singbaren Vortrags befleissigen; man soll natürlich, nicht zu viel gekünstelt und also spielen, daß man mit dem Instrumente, so viel es immer möglich ist, die Singkunst nachahme. Und dieß ist das schönste in der Musik.
Johann Joachim Quantz: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen, 3. Auflage, Breslau 1789
S. 51, IV § 25
Mit der Bewegung der Brust kann man dem Tone in der Flöte auch viel helfen. Sie muß aber nicht mit einer Heftigkeit, nämlich zitternd; sonder mit Gelassenheit geschehen. Thäte man das Gegentheil, so würde der Ton zu rauschend werden. Eine proportionirliche Oefnung der Zähne und des Mundes, und Ausdehnung der Kehle, verursachen einen dicken, runden, und männlichen Ton. Das Hin- und wiederziehen der Lippen machet den ton zugleich schwebend und annehmlich.
S. 65, VI § 11
Wenn über den Noten die auf einerley Tone stehen, ein Bogen befindlich ist, s. Fig. 8; so müssen selbige durch das hauchen, mit der Bewegung der Brust, ausgedrücket werden. Stehen aber über solchen Noten zugleich Puncte, s. Fig 9; so müssen diese Noten viel schärfer ausgedrücket, und, so zu sagen, mit der Brust gestoßen werden. (zwei Varianten des Vibrato, HH )
S. 82, VIII § 19
Einige begehn, so wie mit den willkührlichen Auszierungen... viel Misbrauch. Sie lassen so zu sagen, fast keine Note, wo es nur irgend die Zeit, oder ihre Finger gestatten, ohne Zusatz hören. (Also wie L. Mozart gegen das offensichtlich damals schon existierende ständige Vibrato, HH) ... weder zu simpel, noch zu bunt, zu singen oder zu spielen; sondern das Simple mit dem Brillanten immer zu vermischen. (Also nicht immer non vibrato, H.H.)
S. 109, XI § 18
Ich habe oben gesaget, daß man durch den Zusatz der Manieren (dazu zählt Quantz das Vibrato, HH) die Melodie bereichern, und mehr erheben müsse. ... Man muß deswegen nicht nur mit den willkührlichen Auszierungen, sondern auch mit den wesentlichen Manieren, nicht zu verschwenderisch, sonder sparsam umgehen. Absonderlich ist dieses in sehr geschwinden Passagien, wo die Zeit ohnedem nicht viel Zusatz erlaubet, zu beobachten: damit dieselben nicht undeutlich und wiederwärtig werden.
Daniel Gottlob Türk: Klavierschule, Faksimile-Nachdruck der 1. Ausgabe 1789, Kassel 1962
S. 293, § 88 Von der Bebung
Die Bebung (franz. Balancement, ital. Tremolo) kann nur über langen Noten, besonders in Tonstücken von traurigem etc. Charakter, mit gutem Erfolge angebracht werden. Man pflegt sie durchdas Zeichen bei a) oder durch das Wort tremolo b) anzudeuten. Die Ausführung würde ungefähr so seyn müssen, wie bei c) oder d) (Beispiel siehe pdf)
Man läßt nämlich den Finger, so lange es die Dauer der vorgeschriebenen Note erfordert, auf der Taste liegen, und sucht den Ton durch einen mehrmals wiederholten gelinden Druck zu verstärken. ... Uebringens weiß jeder, daß diese Manier blos auf dem Klaviere, und zwar nur auf einem sehr guten Klaviere heraus zu bringen ist.
Johann Ernst Altenburg: Versuch einer Anleitung zur heroisch-musikalischen Trompeter- und Pauker-Kunst, Halle 1795
Die Bebung oder Schwebung ist eigentlich eine anhaltende Verstärkung und Verschwächung eines gewissen Tons, welchen man nach seinem Werthe hält. Sie wird gewöhnlich durch Punkte mit Bogen über der Note bezeichnet.
Aufzeichnung (Beispiel siehe pdf)
Ausführung (Beispiel siehe pdf)
S.96, 2
Suche man bey den langsamen Stücken das Singende gut vorzutragen, und die dabey vorkommenden Manieren richtig auszudrücken. (Also auch das Vibrato siehe oben, H.H.)
Heinrich Christoph Koch: Musikalisches Lexikon, Frankfurt a.M. 1802
Bebung, ital. Tremolo, ist eine ziemlich verjährte (bezieht sich auf den Fakt, das Clavicorde praktisch nicht mehr gespielt wurden, H.H.) Spielmanier, deren man sich vorzüglich auf den Bogeninstrumenten und auf dem Claviere bedient. Sie kann nur da statt finden, wo ein Ton einige Zeit fortklingend erhalten wird, und bestehet darinne, dass der Finger, der diesen Ton greift, sanft hin und her wiegt, wodurch die genau bestimmte Höhe desselben in eine wechselweise auf- und abwärts neigende Schwebung modifiziert wird. Zur Bezeichnung dieser Spielmanier ist noch kein Zeichen allgemein eingeführt. Verschiedene Tonsetzer sind jedoch gewohnt, sie mit Punkten über den Noten, und zwar mit eben so viel Punkten zu bezeichnen, als der Finger Bewegungen machen soll.
Moritz Fürstenau: Zur Geschichte der Musik und des Theaters, Dresden 1862, S. 88
„Quantz gesteht, daß er nicht nur hierin („des vortrefflichen Vortrages insbesondere des Adagios“), sondern auch „in dem, was das Ausnehmen der Sätze und die Aufführung der Musik überhaupt betrifft,“ von Pisendel „das meiste profitiret“ habe; beide bildeten sich hierin vorzugsweise durch das oftmalige aufmerksame Hören guter Sänger.“