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Die Geschichte einer sinfonischen Idee

Johann Christian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart und Franz Schubert

1768 schuf der jüngste Sohn Johann Sebastian Bachs, Johann Christian Bach, seine Sinfonie in g-moll. Erstmalig in seinem Schaffen finden wir eine ungewöhnliche, subjektive, emotionale Aussage, die sicher in dieser Zeit revolutionär wirkte und deshalb eine ganze Reihe von berühmten Nachfolgern erhielt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass J. Haydn eine Abschrift kannte, als er seine Sinfonie in der gleichen Tonart Nr. 39 etwa ein Jahr später schrieb, und Mozart schuf unter dem Eindruck der von ihm hochverehrten Meister J. Chr. Bach und J. Haydn nur kurze Zeit später (1773/74) seine frühe g-moll Sinfonie, der er später durch sein Meisterwerk, der Sinfonie g-moll KV 550, ein weiteres Werk der gleichen inhaltlichen Grundhaltung hinzufügte. Schließlich schuf F. Schubert 1816 unter dem Eindruck des Mozartschen Meisterwerkes seine 5. Sinfonie in der parallelen Tonart B-Dur, die mehr als nur die gleiche Orchesterbesetzung gemeinsam hat. Es gibt kaum einen weiteren so deutlichen Vorgang in der Musikgeschichte, wo mehrere Komponisten verschiedener Generationen innerhalb von 50 Jahren eine Grundidee weiterentwickeln.

Innerhalb eines Konzertes auf einer unserer Japan-Tourneen spielten wir am 20.3.1995 im berühmten Tokyo Metropolitan Art Space die drei wichtigsten Werke dieser Reihe von Komponisten, die hier in einer Live-Aufnahme von diesem Abend zu hören sind.

Ist die Sinfonie von Johann Christian Bach noch dreisätzig – es fehlt also das Menuett – so ist aber der inhaltliche Aspekt mit seinem düsteren ungestümen Charakter, der sich in gewöhnlichen Dissonanzen und großen dynamischen Kontrasten ausdrückt, bereits überraschend für diese Zeit ausgeprägt. Das war für seine Nachahmer der entscheidende Anlass, sich mit diesem Werk auseinander zu setzen.

Wolfgang Amadeus Mozart schrieb mit seiner zweiten Sinfonie in der gleichen Tonart seine vorletzte und gleichzeitig bekannteste Sinfonie. Wir spielen hier die erste Version, die noch keine Klarinetten in der Orchesterbesetzung hat und somit auch in der relativ sparsamen Orchesterbesetzung, mit Ausnahme der Flöte, identisch mit der Sinfonie von J. Chr. Bach ist. Wie stark Mozart sich mit den Werken des jüngsten Bach-Sohnes auseinandergesetzt hat, zeigen auch zahlreiche weitere Kompositionen. Nicht nur die frühen Klavierkonzerte gehen auf Klavierwerke Johann Christians zurück, auch für zahlreiche Arien schrieb er Verzierungsvarianten.

In seiner „großen“ g-moll-Sinfonie KV 550 entwickelt er die Ideen seines Vorbildes weiter und hat sicher seine Zeitgenossen verblüfft, mit welchen Wundern der Harmonie und des Kontrapunktes er scheinbar spielerisch umgehen kann. Die Tonart g-moll hat auch bei anderen Werken Mozarts stets einen schmerzlichen Affekt und stark subjektive Aussagekraft. Hier findet sie ihren Höhepunkt, der auch in keinem der Außensätze ins freundliche Dur aufgehellt wird.

Wenn auch der Wiener Kritiker Eduard Hanslick die 5. Sinfonie in B-Dur von Franz Schubert „einen schwachen Abguss von Mozart“ nannte, so denken wir, dass wir hier hören lassen können, dass wohl eine große Anzahl Details der Komposition von Mozart durch Schubert übernommen wurde (Orchesterbesetzung, Satzfolge, Satzcharaktere, Tempobezeichnungen, musikalische Periodizität und im Menuett selbst deutliche thematische Anklänge), dass aber die sinfonische Idee bereits in die Romantik verweist und somit die Grundlage für die weitere Entwicklung der sinfonischen Form bei Schubert und seinen Nachfolgern bildet.

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