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Rezension von Daniel Röder (20.04.2005)
Interpretation: 4 Sterne
Klangqualität: 5 Sterne
Repertoirewert: 2 Sterne
Booklet: 3 Sterne
Bach, Johann Christian:
Symphonies
Worauf’s ankommt
"Es kommt nicht auf die Größe an. Wie oft haben wir das schon gehört und ganz ehrlich: Es stimmt. Es kommt nicht darauf an wie groß ein Orchester ist, wie viele Streicher und Bläser und Pauken versammelt sind, wenn es um die Energie, Kraft und Intensität geht, die ein Klangkörper entwickeln kann. Tatsächlich sieht es doch oft so aus, dass mit den kleineren Besetzungen die spannenderen Ergebnisse erzielt werden. Klar, wir reden hier nicht von Wagner oder (bewahre!) Varese, aber – und das ist wirklich keine neue Erkenntnis, aber es sein noch mal gesagt – einer klassischen Sinfonie hat ein schlanker Klang noch nie geschadet.
Das Kammerorchester Carl Philipp Emmanuel Bach hat zwischen historischer Aufführungspraxis und modernem Ensembleklang einen Mittelweg beschritten, der so aussieht, dass man auf der Grundlage textkritischer Erarbeitungen und Auseinandersetzung mit dem Werkgedanken auf modernen Instrumenten musiziert. Das Ergebnis ist ein ums andere Mal überzeugend und besticht durch hohe stimmliche Ausdifferenzierung und einen äußerst geschlossenen Zusammenklang.
Nun legt das Kammerorchester unter Hartmut Haenchen eine Live-Einspielung aus dem Jahre 1995 von Sinfonien aus der Feder von Johann Christian Bach, Wolfgang A. Mozart und Franz Schubert vor. Und entfesselt dabei eine außerordentliche klangliche Eindringlichkeit. Diese zeigt sich schon in den ersten Takten von Bachs Sinfonie Opus 6 Nr. 6 in g-Moll. Vor allem die dynamische Gestaltung und Ausdifferenzierung wäre in solchem Umfang mit einem großen Orchester wohl nur sehr schwer zu realisieren gewesen. Innerhalb weniger Noten schafft es das Kammerorchester vom eindringlich bewegten Piano zum kraftvollen Forte zu modulieren und dabei nicht etwa zu springen sondern gleichmäßig überzublenden. Die Gestaltung des zweiten Satzes gerät ebenso intensiv wie fein gestrickt, und den Schluss des kurzen wie aufbrausenden Allegro molto lässt Haenchen in solch dramatischem Dynamikabfall spielen, dass man als Zuhörer noch völlig in der packenden Atmosphäre des Werks auf eine Weiterführung wartet, die nicht mehr kommt.
Mozarts Sinfonie in g-Moll KV 550 zählt wohl zu den bekanntesten seiner Werke. Das Kammerorchester C.P.E. Bach hat sich für die ursprüngliche Version des Stückes entschieden, in der noch keine Klarinetten vorgesehen sind. Der insgesamt sehr schlanke Gesamtklang kommt auch hier wieder der Interpretation zu Gute, die zu keiner Zeit Gefahr läuft allzu romantisierend zu werden. Die Sinfonie, die gemeinhin als ‘die große g-Moll Sinfonie’ bekannt ist (was ok wäre, würde nicht dadurch Mozarts erste g-Moll Sinfonie zur ‘kleinen’ und damit viel weniger als sie ist), wird hier in absoluter Dramatik und Eindringlichkeit dargeboten und vor allen Dingen in einer Perfektion, dass man erst durch den anschließenden Applaus daran erinnert wird, dass es sich ja um eine Live-Aufnahme handelt.
Nach den beiden g-Moll Werken belässt man es nicht bei einem tragischen Ende, sondern beschließt die Aufnahme mit Schuberts fünfter Sinfonie in der parallelen Tonart B-Dur. Die einleitenden Motiven, voller Lebendigkeit und Bewegung, empfindet man nun fast schon als Er- bzw. Auflösung und so bildet dieses Stück einen gut gewählten Abschluss der CD. Sehr schön die lyrische und gänzlich unpathetische Gestaltung des zweiten Satzes.
Für die ganze CD gilt: Orchesterklang und -balance sind so ausgezeichnet, dass man des Öfteren vergisst, dass hier nicht im Studio eingespielt wurde. Hier hat man bei Sony ganze Arbeit geleistet. Ein glänzend aufgelegtes Kammerorchester Carl Philipp Emmanuel Bach unter einem zupackenden Hartmut Haenchen garantiert eine gute Stunde großartiger Sinfonik. Und darauf kommt’s doch schließlich an. "
Die Geschichte einer sinfonischen Idee
Johann Christian Bach: Sinfonie g-Moll
Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie g-Moll KV 550
Franz Schubert: Sinfonie Nr. 5 B-Dur
1768 schuf der jüngste Sohn Johann Sebastian Bachs, Johann Christian Bach, seine Sinfonie in g-moll. Erstmalig in seinem Schaffen finden wir eine ungewöhnliche, subjektive, emotionale Aussage, die sicher in dieser Zeit revolutionär wirkte und deshalb eine ganze Reihe von berühmten Nachfolgern erhielt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass J. Haydn eine Abschrift kannte, als er seine Sinfonie in der gleichen Tonart Nr. 39 etwa ein Jahr später schrieb, und Mozart schuf unter dem Eindruck der von ihm hochverehrten Meister J. Chr. Bach und J. Haydn nur kurze Zeit später (1773/74) seine frühe g-moll Sinfonie, der er später durch sein Meisterwerk, der Sinfonie g-moll KV 550, ein weiteres Werk der gleichen inhaltlichen Grundhaltung hinzufügte. Schließlich schuf F. Schubert 1816 unter dem Eindruck des Mozartschen Meisterwerkes seine 5. Sinfonie in der parallelen Tonart B-Dur, die mehr als nur die gleiche Orchesterbesetzung gemeinsam hat. Es gibt kaum einen weiteren so deutlichen Vorgang in der Musikgeschichte, wo mehrere Komponisten verschiedener Generationen innerhalb von 50 Jahren eine Grundidee weiterentwickeln.
Innerhalb eines Konzertes auf einer unserer Japan-Tourneen spielten wir am 20.3.1995 im berühmten Tokyo Metropolitan Art Space die drei wichtigsten Werke dieser Reihe von Komponisten, die hier in einer Live-Aufnahme von diesem Abend zu hören sind.
Ist die Sinfonie von Johann Christian Bach noch dreisätzig – es fehlt also das Menuett – so ist aber der inhaltliche Aspekt mit seinem düsteren ungestümen Charakter, der sich in gewöhnlichen Dissonanzen und großen dynamischen Kontrasten ausdrückt, bereits überraschend für diese Zeit ausgeprägt. Das war für seine Nachahmer der entscheidende Anlass, sich mit diesem Werk auseinander zu setzen.
Wolfgang Amadeus Mozart schrieb mit seiner zweiten Sinfonie in der gleichen Tonart seine vorletzte und gleichzeitig bekannteste Sinfonie. Wir spielen hier die erste Version, die noch keine Klarinetten in der Orchesterbesetzung hat und somit auch in der relativ sparsamen Orchesterbesetzung, mit Ausnahme der Flöte, identisch mit der Sinfonie von J. Chr. Bach ist. Wie stark Mozart sich mit den Werken des jüngsten Bach-Sohnes auseinandergesetzt hat, zeigen auch zahlreiche weitere Kompositionen. Nicht nur die frühen Klavierkonzerte gehen auf Klavierwerke Johann Christians zurück, auch für zahlreiche Arien schrieb er Verzierungsvarianten.
In seiner „großen“ g-moll-Sinfonie KV 550 entwickelt er die Ideen seines Vorbildes weiter und hat sicher seine Zeitgenossen verblüfft, mit welchen Wundern der Harmonie und des Kontrapunktes er scheinbar spielerisch umgehen kann. Die Tonart g-moll hat auch bei anderen Werken Mozarts stets einen schmerzlichen Affekt und stark subjektive Aussagekraft. Hier findet sie ihren Höhepunkt, der auch in keinem der Außensätze ins freundliche Dur aufgehellt wird.
Wenn auch der Wiener Kritiker Eduard Hanslick die 5. Sinfonie in B-Dur von Franz Schubert „einen schwachen Abguss von Mozart“ nannte, so denken wir, dass wir hier hören lassen können, dass wohl eine große Anzahl Details der Komposition von Mozart durch Schubert übernommen wurde (Orchesterbesetzung, Satzfolge, Satzcharaktere, Tempobezeichnungen, musikalische Periodizität und im Menuett selbst deutliche thematische Anklänge), dass aber die sinfonische Idee bereits in die Romantik verweist und somit die Grundlage für die weitere Entwicklung der sinfonischen Form bei Schubert und seinen Nachfolgern bildet.
Prof. H. Haenchen