Sinfoniekonzerte

Münchner Merkur, 06. September 2016
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Eine Fundgrube nicht nur für Experten: Hartmut Haenchens Aufsatz-SammlungMehr als ein Dirigent: Hartmut Haenchen (73) ist ein verblüffend akribischer Musikforscher.

Sein kurzfristig übernommener Bayreuther „Parsifal“ war ein Ereignis, aber kein Überraschungserfolg. Es gibt derzeit wohl kaum einen Dirigenten, der sich so akribisch mit Urtexten, Quellen und vor allem Fehlern der Partituren auseinandersetzt, und das nicht nur bei Richard Wagner. Viel Kluges, Tiefschürfendes, Verblüffendes hat Hartmut Haenchen dazu geschrieben und gesagt, einen Gutteil davon bündelte er in seinem Opus „Werktreue und Interpretation“. Der Zweibänder kam vor zwei Jahren erstmals heraus und wurde nun um einige Kapitel, unter anderem eines über den „Lohengrin“, erweitert.
Die seitenlangen Auflistungen von Druckfehlern in der Neuausgabe der „Götterdämmerung“ sollten nicht abschrecken: Haenchens Aufsätze wenden sich in solchen Fällen gewiss an Experten, besonders an Kollegen. Aber es gibt auch Essays, die dem „normalen“ Opernfan sofort verständlich sind. Über Tempofragen bei Wagner geht es da (das meiste wird heute zu langsam dirigiert), über inhaltliche Fragen des „Ring des Nibelungen“ und manchmal auch nur über eine einzige, wiewohl sehr bekannte Generalpause, nämlich die vor der Schlussapotheose in der „Götterdämmerung“. Hartmut Haenchen weist schlüssig nach: Sie ist falsch.
Fast der gesamte zweite Band dreht sich um Wagner, der erste schlägt einen Bogen vom Barock bis zu Beethovens Missa Solemnis. Haenchen schreibt und argumentiert äußerst selbstbewusst. Wer das in den falschen Hals bekommt, könnte es als Arroganz auslegen. Ton und Stil haben aber ihre Berechtigung, wenn bei der Lektüre immer klarer wird, welche immense, einzigartige Vorarbeit der Dresdner leistet, bevor er den Taktstock zu ersten Probe hebt. Schon lange vertraut der 73-Jährige nicht mehr auf die Standardausgaben. Er reist gern mit eigenem Notenmaterial. In Bayreuth hat das gerade auch für Stress bis Unmut im mindestens ebenso selbstbewussten Festspielorchester gesorgt: Ein Ensemble, das zu wissen glaubt, wie es geht, lässt sich eben nur ungern auf Neuland locken.
In einem weiteren Teil gibt Haenchen Auskunft über Biografisches, über seine Sozialisierung im Dresdner Kreuzchor, auch darüber, wie unbequem er den DDR-Machthabern war. Bis heute hat sich an diesem Charakterzug erfreulicherweise nichts geändert – man nehme nur Haenchens schriftliche Donnergrollen über die Dresdner Waldschlösschenbrücke. ...