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03. März 2000 · Amsterdam, Concertgebouw

A. Webern: Im Sommerwind; A. Zemlinsky: 13. Psalm; G. Mahler: Das klagende Lied (Urfassung)

Nederlands Philharmonisch Orkest, Chor des Bayerischen Rundfunks
A. Denoke, B. Remmert, Chr. Elsner, J. Kupfer, V. Norduyn, I. Giannakis, A. Vrensen, M. Mijanovic, A. Grigorjev, H.P. Herman

Pressestimmen

Die Niederländische Philharmonie und Hartmut Haenchen konnten sogar noch einen Erstling in ihrem Mahler-Zyklus aus dem Hut zaubern: die ursprüngliche dreiteilige Version vom Klagenden Lied klang zum ersten Mal in Holland.

Dank des Mahler-Zyklus' von Haenchen und dem NedPhO konnte das Publikum dieses Wochenende erleben, wie der junge Komponist es sich ursprünglich vorgestellt hatte. Es war eine besondere Entdeckungsreise.

Die großartige dramatische Passagen, in der Haenchen seinen ganzen Theatertrieb ausleben konnte, überzeugten am Meisten. Das klagende Lied flog mit eben so großem Feuer in den Saal wie vor der Pause den Psalm XIII von Zemlinski.

Der lange Beifall war verdient. Auf diese Erstaufführung haben wir gewartet!

Thiemo Wind
De Telegraaf · 06. März 2000
Die von Hartmut Haenchen im Amsterdamer Concertgebouw präsentierte originale Version von "Das Klagende Lied" bot interessantes neues Material, daß dem Etikett "Niederländische Erstaufführung" deutliches Gepräge gab.

In "Das Klagende Lied", seinem ersten Opus, hat Mahler einen eigenen, auf deutsche mittelalterliche Ritterballaden gegründeten Text in Musik gesetzt.

Was wir in diesen Tagen oft hören, ist eine Mischung zwischen dem ursprünglichen "Waldmärchen" und den übrigen revidierten Teilen. Seit der Erscheinung der ursprünglichen Partitur in 1997 ist das ja überholt. Kent Nagano dirigierte in jenem Jahr in Manchester die Uraufführung von dem ursprünglichen "Klagenden Lied".

Das Wagnerische Bauwerk von Leitmotiven war bei Haenchen in guten Händen. Er hat sie auf spannende Weise in das Ganze geflochten und damit eine bemerkenswerte Struktur geschaffen.

Die zwei Tölzer Knaben, die abwechselnd die Stimme des ermordeten Bruders sangen, beeindruckten sehr.

Es ist gut, daß Haenchen mit diesem "Klagenden Lied" das Amsterdamer Bild von Mahler verändert hat. Seinen vollständigen Einsatz und seine Hingabe an dieses Projekt konnte man an dem hohen Niveau der Aufführung hören.

Und als ob das noch nicht genügt, hat Haenchen abermals ein sehr lesenswertes Büchlein mit fiktiven Briefen Mahlers geschrieben.

Peter van der Lint
Trouw · 06. März 2000
Hartmut Haenchen dirigiert in diesen Tagen, 120 Jahre nach dem Entstehen und 94 Jahre nachdem Mahler selbst seine revidierte und auf zwei Teile gekürzte Version in Amsterdam dirigierte, auf aufsehenerregende Weise die Niederländische Erstaufführung von Mahler's "Das Klagende Lied" als Teil seines drei Jahre dauernden, kompletten Mahler-Zyklus'.

Das Besondere an der Interpretation von Haenchen findet man nicht so sehr in den vielen oft auffallenden Unterschieden zwischen der Urversion und der revidierten Version der letzten zwei Teile. Das Außerordentliche ist, daß Haenchen das Stück nicht wie ein übermütiges Jugendwerk, das mit Sorge und Umsicht in eine gute Bahn gelenkt werden muß, behandelt. Haenchen nimmt den jungen Mahler vollkommen ernst und dirigiert das Werk mit einer Heftigkeit und einem Reichtum von Klangfarben, als ob es sich um "Das Nachtstück" der Siebten Sinfonie (1905) handelt.

Die unmittelbare, darstellende Kraft dieser Version ist in dieser heftigen und grellen Ausführung ergreifend, die Passagen, in den das Klagen der Flöte von einem Knabenalt und einem unwahrscheinlich hohen Knabensopran besungen wird, gehen durch Mark und Bein, irgendwo anders klingen donnernde, dumpfe Totenschläge. Die Niederländische Philharmonie spielt mit großem Engagement, die Solisten sind gut bis sehr zufriedenstellend, besonders gut der Alt Birgit Remmert, der Sopran Angela Denoke, der Tenor Christian Elsner und der Bariton Jochen Kupfer.

Haenchen ist in der letzten Zeit besonders intensiv. Mahler's Erste Sinfonie, womit der Zyklus eröffnet wurde, endete auf eine zügellose Weise in einem zuckenden Finale. Letzten Monat dirigierte er mit erstaunlicher Geschwindigkeit und Leichtigkeit "Die Meistersinger von Nürnberg" im Muziektheater. Und in "Das klagende Lied", mit seiner impulsiven Getriebenheit, seiner ungeheuren Extrovertiertheit, seinen scharfen Kontrasten und seinem rauen Relief, übertrifft Haenchen, was Aufregung angeht, alle Ausführungen, die ich je von diesem Werk, so wohl auf der Schallplatte, oder auch im Konzertsaal, gehört habe. Bei Boulez klingt dieser Mahler in der üblichen Version streng und tadellos geordnet, bei Rattle eindrucksvoll, aber bei Haenchen ist der junge Mahler heftig, wild und ungestüm. Diese Aufführung ist viel besser, eigensinniger und interessanter als damals die Weltpremiere unter Leitung von Kent Nagano und die von ihm verfertigte Schallplattenaufnahme.

Kasper Jansen
NRC Handelsblad · 06. März 2000
Erst 1970 tauchte der fehlende, erste Teil von "Das Klagende Lied", "Waldmärchen", auf und 1997 wurde die komplette Partitur der ersten Version gefunden.

Futter für Hartmut Haenchen, den Dirigenten der Niederländische Philharmonie. Sein Bestreben nach Vollständigkeit, historische Korrektheit und künstlerische Integrität gibt dem Mahler-Zyklus, den Haenchen mit seinem Orchester in drei Jahren aufführt, ein eigenes Gepräge.

Mit der Niederländischen Erstaufführung der ursprünglichen Version von "Das klagende Lied" haben Haenchen und das Orchester bewiesen, daß der junge Mahler nicht verrückt und unbesonnen war, sondern genial und visionär.

Die Solisten sangen neben dem herrausragenden Alt Birgit Remmert gut bis wundervoll und das Orchester bewies unter Haenchens fester Hand, daß Mahler seiner Zeit weit voraus war.

Paul Janssen
Het Parool · 04. März 2000